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Uhrenvergleich im Kreml.
Gelenkte Demokratie: Durch den Ämterwechsel zwischen Premier Putin und Präsident Medwedew könnte die Machtkonstellation in Russland langfristig festzementiert sein. Nur zaghaft regt sich Widerstand.
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Nur ein einziger russischer Abgeordneter brachte seinen Unmut über die geplante Rochade zwischen Ministerpräsident Wladimir Putin und Präsident Dmitri Medwedew zum Ausdruck: Mit einer Gegenstimme wurde am Samstag beim Parteitag von Jedinaja Rossija (Einiges Russland) der Plan zum Machterhalt durchgewunken.
Putin wird im März 2012 als Kandidat der Regierungspartei bei der Präsidentschaftswahl antreten. Der jetzige Präsident Medwedew folgt Putin dann als Regierungschef nach.
Von der Dreistigkeit des Verräters überrascht, rief Putin in den Saal mit mehr als 1000 Delegierten: "Wo ist dieser Mensch? Wo ist dieser ... Dissident?" Doch im Luschniki-Stadion, wo der Parteitag stattfand, blieb es still.
Andere hingegen haben sich schon aus der Deckung gewagt. Der russische Finanzminister Alexej Kudrin kündigte an, dass er in der künftigen Regierung keine Rolle spielen wolle. Kudrin, der seit 2000 im Amt ist, begründete dies mit unüberbrückbaren Differenzen mit Medwedew. "Medwedews Pläne für eine drastische Erhöhung der Militärausgaben gehen auf Kosten der Bildung und machen uns abhängig von hohen Erdöl-Erlösen" , sagte laut Interfax Kudrin, der selbst als Kandidat für das Amt des Regierungschefs gehandelt wurde.
Auch der Wirtschaftsberater von Medwedew, Arkadi Dworkowitsch, machte seiner Enttäuschung Luft. "Es gibt keinen Grund zur Freude" , twitterte der Kremlberater nach der Bekanntgabe der Personalentscheidung. Es wäre besser gewesen, man hätte im Luschniki-Stadion Eishockey gespielt, so Dworkowitsch.
Die Antwort folgte prompt. Wer mit der neuen Machtkonstellation nicht zufrieden ist, soll gehen, sagte Putins Pressesprecher Dmitrij Peskow. "Das Tandem hat seine Einheit demonstriert. Wenn jemand mit dem strategischen Herangehen des Tandems nicht einverstanden ist, soll er die Mannschaft verlassen" , sagte Peskow. Er betonte, dass es zwischen Medwedew und Putin nur taktische Nuancen gebe, aber eine einheitliche Strategie.
Laut der russischen Verfassung könnte der 58-jährige Putin für zwei Amtszeiten bis 2024 in den Kreml einziehen. "Ich schließe nicht aus, dass ihn danach Medwedew ablöst. Möglicherweise kennen wir bereits die russische Machtkonfiguration bis 2036" , sagte der Politologe Wjatscheslaw Nikonow.
Politische Beobachter bezeichneten den Ämtertausch zwischen Putin und Medwedew als gelenkte Demokratie in Reinkultur. Während Putins erster Präsidentschaft von 2000 bis 2008 wurden demokratische Einrichtungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und die Medien unter eine starke staatliche Kontrolle gestellt.
"Putlandija" statt Russland
Nun sei es so weit, dass man Russland in "Putlandija" umbenennen könnte, witzelte der Kommentator der Tageszeitung Moskowskij Komsomolez. Menschenrechtler befürchten, dass die notwendigen Reformen unter Präsident Putin weiter aufgeschoben werden. Die Rückkehr Putins in den Kreml bedeutet laut Andrej Piontkowskij, Politologe an der Akademie der Wissenschaften, "Stagnation und Ruin. Die Breschnew-Ära lässt grüßen."
"In den nächsten sechs oder vielleicht auch zwölf Jahren wird sich das Land nicht weiterentwickeln, sondern vielmehr aufgrund von Korruption, des Abschwungs der Wirtschaft, des Fehlens unabhängiger Gerichte und Medien weiter abrutschen", sagte Ljudmila Alexejewa, Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe. (Verena Diethelm aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 26.9.2011)