Wien - "Da fliegt der Krebs in der Luft." Und tatsächlich hängt über der Familie eine bedrohliche Wolke. Sie steht in der Kinderzeichnung für die schwere Krankheit des Vaters. Er leidet unter einem Lungenkarzinom, die Eltern wollten die vierjährige Tochter schonen und haben daher nie mit dem Kind über die Erkrankung gesprochen. Das Kind redet fast gar nichts, aber es zeichnet schwarze Wolken, die die Familie bedrohen.

Gerade jene Kinder, die von den Eltern besonders beschützt werden, seien am stärksten verunsichert. Denn die Kinder "kriegen das mit ihren sensiblen Antennen mit", ihre Ängste seien fast immer dramatischer als die Realität, erzählt Margit Stöckl, die unter der Leitung des renommierten Kinder- und Jugendpsychiaters Max H. Friedrich im Wiener AKH Kinder krebskranker Eltern betreut.

Erfahrungen sammeln

Im Rahmen eines EU-Projektes sollen in acht Staaten unter dem Titel "children of somatically ill parents" (kurz: Cosip) Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt werden. Denn die Kinder körperlich kranker Eltern können, sagt Stöckl, an den Aufgaben, die sich mit der Bewältigung ihrer seelischen Belastungen stellen, wachsen, "sie können aber auch in eine seelische Dauerüberforderung geraten". So sind laut internationalen Studien Töchter brustkrebskranker Mütter am meisten gefährdet, als Jugendliche psychisch zu erkranken.

Stöckl war schon mit einigen tragischen Schicksalen konfrontiert: Zwei Mädchen - elf und 14 Jahre alt - haben ihren Vater vor drei Jahren verloren, dann erkrankte die Mutter an Brustkrebs. Stöckl begleitete die Mutter bis zum Tod und kümmerte sich dann um die beiden Mädchen. Sie sind jetzt bei einer Tante gut aufgehoben.

Doch eigentlich ist "Cosip" als Präventionsprojekt gedacht, um die Eltern zu unterstützen, sobald sie von ihrer furchtbaren Diagnose erfahren haben. Denn es sei gar nicht so einfach, Kindern zu erklären, wie eine Chemotherapie wirkt oder warum einem alle Haare ausgehen.

Hinken wie die Mutter

Wie das Kind die Krankheit eines Elternteils erlebt, hänge, sagt Stöckl, vom Entwicklungsstand ab. Wenn die Kinder dann unter schweren Ängsten, Schlafstörungen oder Konzentrationsschwierigkeiten leiden, sei die emotionale Überforderung evident. Viele Kinder würden in frühere Entwicklungsstufen zurückfallen, "als die kleine Welt noch heil war". Manchmal übernehmen aber die Kinder auch die Beschwerden der kranken Mutter oder des kranken Vaters. Ihnen wird übel oder sie tun sich schwer beim Gehen, weil die Mutter Knochenmetastasen hat.

Doch die Überforderung der Kinder zu erkennen ist oft gar nicht so einfach. Man habe meistens das Gefühl, dass es den Kindern gut geht, vor allem die kleineren "greifen zu sehr angepasstem Verhalten, tun alles, um die Eltern nicht zusätzlich zu belasten".

Im Rahmen des EU-Projektes "Cosip" werden nun die Eltern beraten und die Kinder therapeutisch betreut - kostenlos und anonym.

(Bernadette Damböck, DER STANDARD, Print, 30.05.2003)