Viel wird aktuell über die Wachstumsproblematik gestritten: Zu viel Nahrung mache uns fett. Zu viel Konsum entleere unser Leben. Zu viel Reichtum mache uns unglücklich. Zu viel Entwicklung drohe den Planeten zu zerstören. Statt ermutigt zu werden, darüber nachzudenken, wie wir die Gesellschaft voranbringen können, werden wir permanent ermahnt, schon jetzt zu weit gegangen zu sein.

Am häufigsten diskutiert werden zwar nach wie vor sogenannte natürliche Grenzen - wie zum Beispiel die Folgen des Klimawandels und des Ressourcenverbrauchs - doch die Vorstellung moralischer Grenzen hat seit dem wirtschaftlichen Niedergang ab 2008 enorm an Boden gewonnen. Einer der profiliertesten Protagonisten dieses Ansatzes ist der amerikanische Autor Kurt Andersen. Für Andersen ist die wirtschaftliche Krise eine Folge moralischer Laxheit: "Wir haben die aktuelle Krise durch ein Vierteljahrhundert selbstzerstörerischer finanzieller Exzesse und rücksichtsloser Abhängigkeit von Schulden und fossilen Brennstoffen selbst herbeigeführt."

Elitäre Arroganz gegenüber dem Durchschnittsbürger

Wie viele andere Kommentatoren der Wirtschaftskrise interessiert sich Andersen erstaunlich wenig für die produktive Seite der Wirtschaft. Und doch liegt hier (und nicht in moralischen Verfehlungen der Amerikaner) der Schlüssel zur Erklärung der geplatzten Finanzblase; nämlich in der fehlende Wachstumsdynamik der US-Wirtschaft der vergangenen Jahre. Vor der Krise hielten die amerikanischen Behörden die Zinsen niedrig, lockerten die Beschränkungen bei der Kreditvergabe und betrieben eine exzessive Ausgabenpolitik, um die Symptome dieser Wirtschaftsschwäche auszugleichen. Die Verbraucher nutzten einfach nur die Vorteile der Situation, in der sie sich infolge dieser politischen Weichenstellungen befanden. Den angeblich zu maßlosen Lebensstil amerikanischer Mittelschichtsangehöriger auf moralisierende Weise für die Krise verantwortlich machen zu wollen, ignoriert nicht nur die Rolle der Politik - er offenbart auch eine elitäre Arroganz gegenüber normalen Menschen.

Soziale Grenzen

Ein weiterer Angriff auf den Wohlstand vonseiten der Wachstumsskeptiker richtet sich auf das, was man "soziale Grenzen" nennen könnte. Dies mündet dann oft in Diskussionen darüber, wie wir Glück heutzutage definieren sollten. Die Skeptiker berufen sich dabei auf eine breite empirische Basis, die belegen soll, dass zumindest in reichen Ländern wachsender Wohlstand die Bevölkerung im Laufe der Zeit nicht glücklicher gemacht habe. Dabei wird übersehen, dass es selbst in reichen Ländern erheblich größerer Ressourcen bedarf, um Probleme wie Überalterung, Klimawandel oder den nach wie vor mangelhaften Lebensstandard breiter Schichten zu bewältigen. Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, die quälende Armut der Entwicklungsländer zu lindern. Und ganz abgesehen davon, dass wir nicht da wären, wo hier heute sind, wenn wir diese Maxime schon immer befolgt hätten.

Wachstumsoptimismus ist tabu

Wachstumsskepsis zu kritisieren ist heute außerordentlich schwierig, weil seine Anhänger sich generell nicht als offen wachstums- oder wohlstandsfeindlich gerieren. Das Wachstum wird vielmehr indirekt angegriffen, indem man vorgebliche natürliche Grenzen des Wohlstands thematisiert oder andere soziale Prioritäten hervorhebt. Doch unausgesprochen liegt hinter all diesen Äußerungen tiefgreifender Pessimismus gegenüber der Möglichkeit und erst recht der positiven Wirkungen wirtschaftlichen Fortschritts.

Materieller Fortschritt ist unverzichtbar für das menschliche Wohlergehen. Trotz der enormen Errungenschaften der vergangenen zwei Jahrhunderte gibt es nach wie vor enorme materielle und wirtschaftliche Mangelerscheinungen. Wachstum ist die Voraussetzung, um den Lebensstandard weltweit auf ein anständiges Niveau anzuheben. Wachstum ist aber auch die Voraussetzung dafür, unsere Umwelt so um zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen der Menschheit besser dient. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, bevor wir wahren Überfluss erreicht haben werden. (Daniel Ben-Ami, derStandard.at, 26.9.2011. Übersetzt aus dem Englischen)