
Manfred Nowak (60) ist Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte in Wien und war bis Ende 2010 UN-Sonderberichterstatter über Folter.
Als eine seiner ersten Amtshandlungen unterschrieb Präsident Obama 2009 ein Dekret, wonach das umstrittene Militärgefängnis Guantanamo Bay auf Kuba innerhalb eines Jahres geschlossen werden sollte. Bis heute ist es in Betrieb. Jetzt kündigte die Regierung an, das Lager noch vor den Präsidentschaftswahlen im November 2012 schließen zu wollen. Der ehemalige US-Sonderberichterstatter über Folter, Manfred Nowak, spricht im derStandard.at-Interview über Probleme, welche die Schließung schon seit Jahren verhindern, die Veränderungen seit dem Amtsantritt Obamas und darüber, warum sich bis jetzt noch niemand für Folter in Guantanamo vor einem Gericht verantworten musste.
derStandard.at: 2009 versprach Obama Guantanamo Bay innerhalb eines Jahres zu schließen. Bis heute ist es noch in Betrieb. Warum verzögert sich die Schließung des Lagers nun schon seit Jahren?
Nowak: Das hat mehrere Ursachen. Zum einen hat Präsident Obama massiven Gegenwind von Seiten der Republikaner im Kongress bekommen, zum anderen auch von Demokraten, die besonders gefährliche Häftlinge nicht am Festland der Vereinigten Staaten inhaftieren wollen. Die Gouverneure weigern sich zudem Häftlinge in Gefängnisse ihrer Bundesstaaten zu überstellen. Daher hat Obama – wie schon Bush vorher – versucht, andere Staaten zu finden, die Guantanamo-Häftlinge aufnehmen. Aber die Bereitschaft ist extrem klein. Es gibt gewisse Kleinstaaten im Pazifik oder die Bermudas, die Leute aufgenommen haben gegen entsprechende Bezahlungen durch die USA.
Die europäischen Staaten hätten meiner Meinung nach eine besondere Verantwortung den USA zu helfen, weil ja Guantanamo Bay ein Symbol für den sogenannten Krieg gegen den Terror wurde, den die USA gemeinsam mit europäischen Verbündeten geführt haben. Nach Veröffentlichung unseres Berichtes 2006 hat sich die Europäische Union zudem der Forderung angeschlossen, Guantanamo zu schließen. Ich habe viele Gespräche mit vielen europäischen Regierungen geführt, aber nur sehr wenige waren wirklich bereit, einzelne Guantanamo-Häftlinge aufzunehmen.
derStandard.at: Woher stammen die Häftlinge, die sich aktuell in Guantanamo befinden? Warum können sie nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden?
Der Großteil der Häftlinge sind Jemeniten. Die Ideallösung wäre natürlich, wenn die Leute in ihre Heimatländer zurückkehren könnten.
Die Situation im Jemen ist derzeit aber eine sehr schwierige, mit dem arabischen Frühling und den Auseinandersetzungen mit Präsident Saleh. Ich habe selbst noch mit der Menschenrechtsministerin im Jemen gesprochen. Sie wäre durchaus bereit, die Häftlinge zurückzunehmen, aber es ist die Frage, wie groß die Gefahr für diese Menschen wäre.
derStandard.at: Warum können jene Häftlinge, die unschuldig sind, nicht wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren?
Nowak: Denken Sie nur an die Uiguren aus China. Die sind sicherlich unschuldig in dem Sinn, als dass sie nichts mit dem 11. September zu tun haben. Sind einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen. Sie sind selbst aus China geflüchtet mit dem Ziel in den USA um Asyl anzusuchen und waren in Afghanistan als der Krieg begonnen hat. Von dort sind sie nach Pakistan geflüchtet, wo sie gegen ein hohes Kopfgeld, das die USA damals ausgesetzt hatte, an die USA verkauft wurden. Sie haben aber nichts mit den Anschlägen zu tun, das sagen die Amerikaner selbst. In China werden sie aber als Terroristen gesucht, deshalb kann man sie nicht nach China zurückschicken.
derStandard.at: Kommen noch neue Häftlinge hinzu?
Nowak: Nein. Obama verwendet das Lager meines Wissens nicht für weitere Häftlinge. Es geht einfach nur noch um die Häftlinge, die sich noch in Guantanamo befinden. Es wurden immer wieder Leute freigelassen, die nach Einschätzung der USA nicht so wichtig sind, dass sie vor Gericht gestellt werden sollen oder nicht gefährlich sind. Es sind auch Leute in Länder zurückgeschickt worden, mit der Bitte, sie dort weiter festzuhalten. Die Frage ist nur, wie groß die Gefahr ist, dass sie dort gefoltert oder ermordet werden.
derStandard.at: Auf welcher rechtlichen Grundlage arbeiten die USA? Schließlich werden Menschen ohne konkrete Verdachtsmomente, ohne Gerichtsverfahren unter zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen über Jahre einsperrt.
Nowak: Da gibt es keine rechtliche Grundlage. Die USA sagen einfach, das ist Krieg gegen den Terror und da gelten keine Rechtsvorschriften. Da gelten die internationalen Menschenrechtskonventionen nicht. Da gilt einfach nur mehr Kriegsrecht und humanitäres Völkerrecht, was völliger Unsinn ist. Aber selbst im humanitären Völkerrecht gäbe es auch Regeln, dass zum Beispiel Zivilisten nicht einfach unendlich lang festgehalten werden können. Mit einer neuen Konstruktion von sogenannten illegal enemy combatants, die es in den Genfer Konventionen so nicht gibt, versucht man das alles zu unterlaufen. Das ist illegal und darüber hinaus sind die Haftbedingungen fürchterlich. Die Bedingungen sind jetzt sicher besser geworden, aber zu dem Zeitpunkt, als wir Guantanamo untersucht haben, haben wir schwere Folter festgestellt.
derStandard.at: Aussagen von Insassen zufolge, wurden die Misshandlungen in Guantanamo nach dem Amtsantritt Obamas aber schlimmer. Können Sie diese Aussagen bestätigen?
Nowak: Ich habe keine Hinweise bekommen, dass die Situation schlechter geworden wäre. Das Problem ist aber ein anderes. Je länger man die Leute festhält ohne eine Perspektive entlassen zu werden, desto dramatischer wird die Situation für sie. Die drehen irgendwann durch. Nach dem Amtsantritt von Obama haben sich die Leute erwartet, dass sie bald freikommen werden. Als sie dann gemerkt haben, dass das doch nicht so schnell funktionieren wird, waren viele sicherlich sehr enttäuscht.
derStandard.at: Die Haftbedingungen haben sich unter Obama verbessert?
Nowak: Ja, das ist überhaupt keine Frage. Die Art und Weise wie die Leute auf Anordnung von Verteidigungsminister Rumsfeld mit voller Billigung von Cheney und Bush behandelt wurden, war psychische Folter. Das gibt es meines Wissens nicht mehr. Obama hat hier schon einiges verändert. Dennoch ist die Situation in Guantanamo Bay nach wie vor sicherlich keine sehr angenehme. Aber diese Foltermethoden – ganz heiß und wieder ganz kalt, Isolationshaft für lange Zeit, Schläge oder fürchterliche Methoden der Zwangsernährung bei Hungerstreikenden und so weiter – diese Methoden sollten meines Wissens aufgehört haben.
derStandard.at: Sind Ihnen Fälle bekannt, wo AufseherInnen in Guantanamo sich aufgrund von Foltervorwürfen vor Militärgerichten verantworten müssen bzw. in Vergangenheit mussten ähnlich wie Lynndie England, als der Folterskandal von Abu-Ghuraib aufgedeckt wurde?
Nowak: Nein. Die einzigen, die jemals im Kampf gegen den Terror vor ein Militärgericht gestellt wurden sind nur Militärs aus Abu-Ghuraib und auch dort traf es nur Personen auf niedrigeren Ebenen. Als ich Abu-Ghuraib untersucht, und auch mit vielen Ex-Häftlingen Interviews geführt habe, wurde mir gesagt, die Militärs waren mit Abstand noch die angenehmsten, dann kam die CIA und die fürchterlichsten waren die privaten Sicherheitsfirmen. Es sind keine CIA-Mitarbeiter, niemand von den privaten Sicherheitsfirmen und auch keine Politiker jemals zur Verantwortung gezogen worden. Nur ein paar Soldaten in vergleichsweise niedrigen Positionen, die zwar selbst gefoltert haben, das aber nicht ohne Wissen ihrer Vorgesetzten tun hätten können. Die Leiterin von Abu-Ghuraib und sonstige höherrangige Offiziere sind nie zur Verantwortung gezogen worden.
derStandard.at: Gibt es in Guantanamo Überlegungen WärterInnen vor ein Militärgericht zu stellen?
Nowak: Ich schätze Obama sehr dafür, dass er eine andere Politik macht und Dinge verändert hat. Die ärgsten Auswüchse der Bush-Administration sind gestoppt worden. Wofür ich ihn kritisiere ist, dass er – obwohl es eine klare völkerrechtliche Verpflichtung der USA gäbe jeden einzelnen Fall von Folter strafrechtlich zu untersuchen und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen – von vorn herein gesagt hat, er will die Zukunft verändern, aber nicht die Vergangenheit untersuchen oder gar mit seinen Vorgängern abrechnen. Damit verletzt er aber die UN-Konvention gegen Folter, denn wir haben genug Beweise, wer in Guantanamo gefoltert hat, bis hinauf zu Rumsfeld. Niemand ist jemals zur Verantwortung gezogen worden.
derStandard.at: Warum gibt es diesbezüglich noch keine Antwort von internationaler Seite, wie etwa ein Haftbefehl des ICC in den Den Haag gegen Präsident Bush oder Verteidigungsminister Rumsfeld?
Nowak: Das geht nicht, denn der ICC kann nur in Ausnahmefällen Individuen anklagen, wie etwa bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord. Selbst wenn man sagt, das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist der ICC nur zuständig, wenn der Staat, auf dessen Territorium gefoltert wird, das Statut ratifiziert hat oder wenn die folternde Person Staatsbürger eine Staates ist, der das Statut ratifiziert hat. Nachdem das Gefängnis auf einer US-Militärbasis in Guantanamo ist, fällt es unter US-Jurisdiktion. Die USA haben das ICC-Statut aber nicht ratifiziert.
Die einzige andere Möglichkeit wäre, dass der UN-Sicherheitsrat eine Situation an den Internationalen Strafgerichtshof bringt, das gab es jetzt in Libyen zum Beispiel und zuvor schon einmal im Sudan. Die USA haben aber ein absolutes Vetorecht im Sicherheitsrat. Deshalb ist eine Anklage völlig undenkbar.
derStandard.at: US-Präsident Barack Obama hat angekündigt das Militärgefängnis Guantanamo Bay noch vor den Präsidentschaftswahlen 2012 schließen zu wollen. Glauben Sie, dass ihm das gelingen könnte?
Nowak: Möglich ist es auf alle Fälle. Wir reden hier nicht von tausenden Leuten. Im Irak ist es viel schwieriger. Die haben wirklich viele tausende Häftlinge, die jetzt frei gelassen oder an die irakischen Behörden übergeben werden, mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten. In Guantanamo handelt es sich um 100 bis 200 Menschen. Das ist eine reine Frage des politischen Willens. Ich bin überzeugt davon, dass Obama das auch gegen den Widerstand von Seiten des Kongresses durchziehen hätte können, wenn er sich sehr stark dafür gemacht hätte. Es war eben dann nicht mehr die große Priorität. Wenn er das jetzt für die Wahlen wieder zur Priorität macht, dann freue ich mich darüber. Aber nachdem einmal mein Vertrauen in ihn diesbezüglich enttäuscht wurde, will ich jetzt keine Prognosen abgeben, ob er es diesmal wirklich schaffen wird. Aber ich mache nicht primär Obama dafür verantwortlich, ich glaube schon, dass er eine Schließung wirklich angestrebt hat. Es ist ein Schandfleck für die USA und der bleibt solange bis der letzte Häftling das Lager verlassen hat. (Elisabeth Lind, derStandard.at, 26.9.2010