Viele Lenker, die vor den Einsatzkräften zufällig an einer Unfallstelle vorbeikommen, haben Angst etwas falsch zu machen, so die ÖAMTC-Erhebung. Im Bild: Die gestellte Situation des Unfalls auf der B50 zwischen Mattersburg und Eisenstadt.

Foto: ÖAMTC

Wien - Ein demoliertes, leicht rauchendes Auto am Rand einer stark befahrenen Bundesstraße, daneben sitzt benommen ein junger Mann. Die normale Reaktion der vorbeikommenden Autofahrer? Weiterfahren. Das ist zumindest das Ergebnis eines Experiment des Autofahrerklubs ÖAMTC im Burgenland.

Auf der B50 zwischen Eisenstadt und Mattersburg suchte sich die Verkehrspsychologin Marion Seidenberger die geeignete Stelle für den Test. "Es gab neben dem Unfallauto eine Wiese, auf der man gefahrlos halten konnte, gleich dahinter eine abzweigende Gasse, in der man ebenso parken konnte" , erklärt sie bei einer Pressekonferenz am Montag.

38 von 246 Autofahren blieben stehen

Gebrauch machten von der Haltemöglichkeit 38 vorbeikommende Lenker. Von insgesamt 246. Zwei Personen setzten einen Notruf via Handy ab. Der Rest hatte viele gute Gründe parat, nachdem die eingeweihte Polizei sie kurz danach bei einer Kontrolle gestoppt hatte.

"Ich habe mir gedacht, der ist wohl verunfallt, aber es ist schon länger her und er schaut sich den Schaden am Auto an" , sagte beispielsweise eine 24-Jährige. "Das gibt's ja gar nicht: Es kann da gar nicht passiert sein, dass sich da wer überschlägt" , war ein 71-Jähriger überzeugt. Wieder andere argumentierten, dass sie weitergefahren seien, da es alle anderen auch gemacht hätten.

Mehr Solidarität bei Motorad- oder LKW-Fahrern

Einen derartigen Gruppenzwang mit potenziell negativen Auswirkungen gibt es, erklärt Seidenberger. "Je größer die Gruppe, desto schwieriger wird es auszubrechen. Am ehesten gibt es eine Solidarität noch bei Motorrad- und Lkw-Fahrern. Aber auch dort wird sie geringer" , beobachtet sie. "Aber Autofahrer sind eben eine extrem große Gruppe."

Unterschiede zwischen Männern und Frauen gab es keine, auch altersmäßig war die Verteilung gleich: Nur 15 Prozent blieben stehen. Sieben Prozent waren übrigens tatsächlich abgelenkt - durch Telefonate, Bedienung von Navigationsgerät oder Radio, zeigten die Bilder der im Gebüsch versteckten Kamera.

Einen deutlichen Unterschied gab es allerdings bei der Versuchsanordnung. Wurde der aus einem Crashtest stammende Wagen auf allen vier Reifen in die Wiese gestellt und der Fahrer hing über dem Lenkrad oder lag in der Wiese, blieben nur drei Prozent stehen. Wurde der Wagen dagegen hochkant gestellt, stieg der Prozentsatz.

Unterschiede in der Lage

Eine mögliche Erklärung ist, dass ein stehendes demoliertes Fahrzeug eher damit assoziiert wird, dass der Unfall schon länger her ist und das Wrack nur noch abgeschleppt werden muss. Und ein umgekipptes Auto im Gegenzug eher den Eindruck erweckt, der Crash sei gerade passiert.

Das Ignorieren eines Unfalls ist nicht nur moralisch, sondern auch strafrechtlich relevant. "Unterlassene Hilfeleistung" nennt sich das Delikt und wird mit Strafen zwischen einem halben und einem Jahr Haft geahndet. Ist man selbst am Unfall beteiligt, wird es zum Im-Stich-Lassen eines Verletzten - bis zu zwei Jahre drohen dann. (moe, DER STANDARD; Printausgabe, 27.9.2011)