Seit zwei Wochen wird das baufällig gewordene sogenannte Papstkreuz am Wiener Donaupark saniert. Die drohende ersatzlose Abtragung des verrosteten und mittlerweile für die Allgemeinheit gefährlichen 40 Meter hohen Kolosses ist also endgültig vom Tisch. Wien bleibt somit ein Kultobjekt erhalten, das um vier Meter höher ragt als die europaweit höchste Jesusstatue, die unlängst in Polen errichtet wurde.

1983 als temporärer Bau errichtet

Zur Erinnerung: Im Jahr 1983 besuchte Karol Józef Wojtyła, als Oberhaupt der katholischen Kirche und anlässlich des Katholikentages, erstmals Österreich und über 300.000 Katholiken, teils einheimisch, teils von nah oder fern speziell zur Feier angereist, zelebrierten mit ihm im Donaupark die Messe. Und auch das passende Bühnenbild sollte nicht fehlen: Ein 56 Tonnen schweres Stahl-Kreuz wurde - als temporärer Bau, versteht sich - von der Erzdiözese Wien errichtet, um dem Spektakel das notwendige katholische Flair zu verleihen. Doch nachdem der viel reisende Gast sich kurz darauf verabschiedete, wurde das Kreuz nun mal ganz einfach "stehen gelassen": "Widmung", "Bauauflagen", "Sicherheitsbestimmungen"? Kein Thema. Und warum auch? Mit einem Bevölkerungsanteil von 70 Prozent, den die katholische Kirche in Wien ihr Eigen nennen konnte, war das Wiener Abendland der 1980er noch fest in (freilich katholischer) Christenhand und die Welt noch heil.

Eine salomonische Lösung

Fast 30 Jahre kamen und gingen seit seiner Errichtung. Doch nicht nur am rostigen Eisenkoloss nagte der Zahn der Zeit: nur noch gute 40 Prozent der WienerInnen gehören im Jahr 2011 der katholischen Kirche an, viele von ihnen lediglich als Taufscheinkatholiken oder "religionsunmündige" Kinder, die mit täglich steigender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit mit Rom Schluss machen werden.

Wäre dieses "stehen gelassene", kunstgeschichtlich bedeutungslose, protzige religiöse Denkmal namens "Papstkreuz" nicht in jedem anderen funktionierenden Rechtsstaat schon längst beseitigt worden? Doch nicht in Österreich, dem Land der religiösen Einfalt und vorgetäuschten Basisdemokratie: Der Kathpress, dem mittelbaren Sprachrohr Gottes, kann entnommen werden, dass der drohende Abriss des Kreuzes dermaßen viele Gläubige verstört hätte, dass der Erhalt kurzer Hand zur Chefsache erklärt wurde. Folglich konnten die Herren Bürgermeister und Kardinal im Juni 2010 eine wohlwollende salomonische Lösung erzielen:die Sanierungskosten von geschätzten 400.000 Euro sollten die Wiener SteuerzahlerInnen und die Erzdiözese Wien "halbe halbe" teilen, die künftigen Erhaltungskosten werden allerdings Wiens Steuer- und GebührenzahlerInnen, die schon längst mehrheitlich nicht katholisch sind, fortan alleine tragen müssen.

Der Sieg des Boulevards

Doch wer glaubt, dass einzig der fromme Einsatz des Wiener Kirchenvolks den rostigen Koloss vor dem Abriss bewahren konnte, der wird vielleicht selig, doch er irrt: die Rettung des Kreuzes ist auch einem Boulevardblatt zu verdanken. Ein Boulevardblatt, in dem Woche für Woche auch die Kolumne des Herrn Kardinals über Gottes Liebe zu finden ist. Natürlich zwischen der verspielten Sabrina auf Seite dreizehn und der "zeitlich befristeten Liebe", die ein paar Seiten danach feilgeboten wird, platziert. Nach einer typischen "Das-Papstkreuz-muss- bleiben!-Kampagne", freilich rechtzeitig vor den Gemeinderatswahlen, wurde nicht nur der richtige Nerv der wenigen frommen Katholiken Wiens und jener Bevölkerungsschicht, die als "Pöbel" durchgeht, getroffen, sondern auch Wiens PolitikerInnen in Angst und Schrecken versetzt. Entschuldigungen murmelnd und mit einer haarsträubenden Selbstverständlichkeit sicherte Michael Häupl der Erzdiözese Wien amtliche Soforthilfe während Alt-ÖVP-Chefin Christine Marek plötzlich die Notwendigkeit, die "sichtbaren Wurzeln unserer christlichen Wurzeln" auf Staatskosten zu retten, entdeckte. Hans-Jörg Jenewein, Landesparteisekretär der "Daham statt Islam"-Partei, enttäuschte auch nicht und lieferte prompt den zu erwartenden Worterguss. Einzig Grünen Obfrau Maria Vassilakou zeigte sich zurückhaltend, nutzte jedoch die Gelegenheit um ausgerechnet die schon damals hilflos wirkende Christine Marek zu attackieren.

Das Schweigen der Lämmer

Und jetzt, über ein Jahr später, scheint die Erzdiözese Wien sich still und heimlich doch noch mit der teuersten - und zuvor sogar von ihr abgelehnten - Sanierungsvariante durchgesetzt zu haben. Dass für Häupl die Sache nun gegessen ist, ist verständlich - sein Verhältnis zur Boulevardpresse ist mittlerweile symptomatisch, und er kann zudem gar nicht anders: Er ist ein Kind seiner Zeit und insbesondere seiner Partei;

Das Schweigen der nun in Wien mitregierenden Grünen zur Kreuzthematik ist hingegen ohrenbetäubend. Vassilakou, die sich vor einem Jahr noch gegen Verschwendung im Rathaus, für mehr Transparenz bei den Stadtfinanzen und, no na, für den Pluralismus einzusetzen wusste, nickte unlängst ohne wenn und aber die Gebührenanhebung für 2012 durch, wissend, dass damit christliche Imagepflege finanziert wird während die grünen Prestigeprojekte aufgrund der chronischen Unfinanzierbarkeit um eine weitere Spur noch unrealisierbarer wurden. Die grüne nachträgliche Komplizenschaft bei der Häupl-Schönborn-Verhaberung hat mit dem Wahl-Slogan "Grüne sind Kraft der Erneuerung in Wien" wenig zu tun.

Kirche und Staat getrennt?

Und ja, 400.000 Euro sind für eine Millionenmetropole wie Wien ein überschaubarer Betrag. Das Preis-Leistungs-Verhältnis dieser politischen Bankrotterklärung ist aber moralisch verheerend und für Österreich, wo ja angeblich Kirche und Staat getrennt sind, leider symptomatisch. Gegen ein dezentes Denkmal, das an den Besuch eines Kirchenoberhauptes erinnert, spricht nichts. Protzige Symbole, die den absoluten Machtanspruch einer bestimmten Weltanschauung in alle Richtungen posaunieren, widersprechen hingegen dem pluralistischen Geist einer Demokratie und haben auf öffentlichem Grund nichts verloren. Und die Errichtungskosten solch eines Denkmals möge die katholische Kirche gefälligst alleine tragen. Egal, ob es der Kronen Zeitung gefällt oder nicht. (Leser-Kommentar, Eytan Reif, derStandard.at, 27.9.2011)