Budapest - Als "Terroraktionen" bezeichnet ein ungarischer Regierungsbericht das Vorgehen der Polizei gegen Anti-Regierungs-Demonstranten am 23. Oktober 2006 in der Budapester Innenstadt. Der am Montag auf der Homepage des Parlaments veröffentlichte Bericht des Ex-Justizministers Istvan Balsai sollte das "brutale Vorgehen" der Polizei untersuchen. Der Bericht vermutet, die Polizei habe auf "höchste politische Anweisung", das heißt "auf Befehl" des damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany gehandelt. Deswegen müsse die politische und rechtliche Verantwortung von Gyurcsany für die Ereignisse untersucht werden.

Bei seiner Untersuchung sei Balsai zu der Erkenntnis gelangt, dass die "groben Rechtsverletzungen" ein Zeichen gewesen seien für das "brutale und paranoide Machtbestreben" der Gyurcsany-Regierung, heißt es in dem Text. Während der Bericht keine konkreten Beweise nennt, dass Gyurcsany der Polizei Anweisungen gegeben hätte, sieht der Verfassungsrichter und frühere Abgeordnete der Regierungspartei Fidesz die "kontinuierlichen Telefonate" zwischen Gyurcsany und dem damaligen Budapester Polizeichef Peter Gergenyi als Belege an.

Die Anti-Regierungs-Ausschreitungen in Budapest hatten nach der Veröffentlichung der sogenannten "Lügenrede" von Gyurcsany im September 2006 begonnen. In einer parteiinternen Rede in der Ortschaft Balatonöszöd hatte Gyurcsany einige Wochen zuvor zugegeben, den Wählern während des Wahlkampfes im Frühjahr 2006 nicht die Wahrheit über die Lage im Land gesagt zu haben. Laut Bericht erreichten die Proteste ihren "Gipfel" am 23. Oktober, dem 50. Jahrestag der Revolution von 1956.

In dem Bericht wird die Verantwortung des Budapester Polizeipräsidenten Gergenyi und des Landespolizeipräsidenten Laszlo Bene betont, die bei der "Zerschlagung" der Massendemonstrationen bewusst gehandelt hätten. Dies habe nur auf "politischen Befehl von oben" erfolgen können. Balsai tritt deshalb dafür ein, die persönliche Verantwortung von Gyurcsany zu untersuchen. Im Falle des Ex-Premiers könne "selbst die Möglichkeit der Durchführung einer Terrorhandlung in Erwägung gezogen werden".

Premier Viktor Orban ersuchte in einem Begleitschreiben Parlamentspräsident Laszlo Köver, den Bericht den Parlamentsabgeordneten zuzustellen und zu ermöglichen, dass das Parlament und seine Ausschüsse den Inhalt behandeln können. Laut einer Aussendung von Peter Szijjarto, dem Sprecher des Ministerpräsidenten, sei dieser Schritt notwendig, da die "politisch motivierten brutalen Angriffe der Polizei gegen friedliche Demonstranten nicht ohne Folgen bleiben dürfen". Die Eile wird weiter damit erklärt, dass die möglichen Straftaten von 2006 nun nach fünf Jahren verjähren, wenn nicht zuvor Anklage erhoben wird, schreibt die Internetzeitung "Origo".

Ex-Premier Gyurcsany ist bereits beschuldigt, als Regierungschef im Zuge einer geplanten Großinvestition dem Staat einen Schaden in der Höhe von mehreren Milliarden Forint zugefügt und somit Amtsmissbrauch begangen zu haben. Nach der Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität Mitte September wird er nun am 3. Oktober von der Staatsanwaltschaft befragt. Auf den Ex-Premier könnten nach dem Balsai-Bericht möglicherweise weitere gerichtliche Schritte warten.

Am 23. Oktober 2006 waren viele Menschen - großteils friedlich - in Budapest auf die Straße gezogen, um ihrem Unmut gegen den "Lügner" Gyurcsany Ausdruck zu verleihen. Die damalige Oppositionspartei Fidesz-MPSZ forderte den Rücktritt des Regierungschefs. Gegen Abend kam es am Rande der Proteste zu gewalttätigen Ausschreitungen mit brennenden Autos, Mülltonnen und Barrikaden, die bis spät in die Nacht andauerten. Die Polizei setzte unter anderem Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschoße ein. Ähnliche Ereignisse wiederholten sich in den darauffolgenden Jahren an nationalen Feiertagen mit sinkender Intensität.

Die rechtskonservative Opposition warf nach den Ereignissen vom Oktober 2006 der Gyurcsany-Regierung vor, friedliche Anti-Regierungs-Proteste "mit Gewalt niedergeknüppelt" zu haben, "um an der Macht mit allen Mitteln festzuhalten". Sie zog dabei auch bewusst eine Parallele zu den Ereignissen der Revolution 1956, als sich die Bevölkerung gegen das kommunistische Regime wandte. (APA)