"Ohne Stipendien und Förderungen kann man als literarischer Übersetzer nicht überleben, aber das ist nicht nur in Georgien so, das gilt für alle anderen Länder auch", konstatiert Maja Badridse.

Foto: Mascha Dabic

Volle sechs Jahre lang arbeitete Maja Badridse daran, dem österreichischen Schriftsteller Musil zu einer georgischen Stimme zu verhelfen

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Eine Förderung, die literarische Übersetzer aus der ganzen Welt in Anspruch nehmen können, ist ein Stipendienaufenthalt im Europäischen Übersetzerkollegium in Straelen.

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Glimmstängel und überquellende Aschenbecher in einer Bibliothek sind heutzutage ein seltener Anblick. Das Atrium des Europäischen Übersetzerkollegiums im nordrheinwestfälischen Städtchen Straelen dürfte einer der letzten öffentlichen Orte sein, wo man noch Leselust und Rauchgenuss ohne einen Interessenskonflikt entspannt ausleben kann. Eine der glücklichen Bibliotheksbenutzer ist die georgische Übersetzerin Maja Badridse, laut Eigenbeschreibung "eine exzessive Raucherin". Sie absolviert derzeit einen Stipendienaufenthalt in Straelen, um sich in Ruhe der Übersetzung von C.G. Jungs Schriften "Psychologie und Religion" und "Antwort auf Hiob" zu widmen.

Deutscher Kindergarten in Tiflis

Mit der deutschen Sprache kam die 1965 in Tiflis geborene Maja bereits im Alter von drei Jahren in Kontakt. Sie besuchte einen Privatkindergarten in Tiflis, der von den Angehörigen der deutschen Minderheit in Georgien betrieben wurde. "Ich fühle mich der deutschen Sprache nicht nur intellektuell, sondern auch emotional verbunden. Ich kannte viele deutsche Märchen und feierte deutsche Weihnachten", erinnert sich Maja.

Die erste Übersetzung

Zum Übersetzen sei sie durch einen Zufall gekommen, erzählt die Georgierin mit der rauchigen Stimme. Ein Bekannter habe sie gebeten, etwas vom deutsch-georgischen Schriftsteller Giwi Margwalaschwili zu übersetzen. Die diplomierte Germanistin arbeitete damals in einem Verlag und hatte nur einige wenige Texte für Zeitschriften übersetzt. „Margwalaschwili schrieb auf Deutsch, deshalb hatte ihn in Georgien niemand gelesen, aber er war ein Mythos, man wusste, dass es ihn gab. Ich war von seinen Schriften sehr beeindruckt, setzte mich gleich an den Schreibtisch und begann mit der Übersetzung. Diese wurde auch sogleich veröffentlicht."

Verlorene Lebenszeit

Auf die Frage, was sie in der chaotischen Periode nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Unabhängigkeit Georgiens 1991 außer dem Übersetzen gemacht habe, zuckt Maja zunächst resigniert mit den Achseln: "Tja, was haben wir damals alle gemacht ... Wir haben versucht zu überleben. Die Neunziger waren zehn Jahre verlorener Lebenszeit. Trotzdem haben wir nie aufgehört, an der kulturellen Entwicklung des Landes zu arbeiten. Meine Freunde, die auch im Kulturbereich tätig waren, sagten immer, wenn die Zeit kommt, müssen wir bereit sein."
In der Tat kam dann eine Zeit als Georgien nicht länger der russisch-dominierten Sprachenpolitik der Sowjetunion unterworfen war und die Einschränkung aufgehoben wurde, dass nur solche Bücher ins Georgische übersetzt werden durften, die bereits in russischer Übersetzung vorlagen.

Übersetzungen ins Georgische wurden von deutschsprachigen Institutionen gefördert, und Maja erhielt den Auftrag, Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften" zu übersetzen. "Eine große Herausforderung und eine mentale Anstrengung, dieses Klosterleben und die militärische Disziplin durchzuhalten", erinnert sich Maja. Volle sechs Jahre lang arbeitete sie daran, dem österreichischen Schriftsteller Musil zu einer georgischen Stimme zu verhelfen. Es kam vor, dass sie tagelang über einem Satz brütete. "Ich musste meinen Lebensrhythmus voll und ganz dieser Arbeit unterwerfen. Musil hat mir alle meine Eigenschaften geraubt", lacht Maja, die Frau ohne Eigenschaften.

Das müsilige Leben der Übersetzerin

Etwas dürfte Musil doch verschont haben - den Humor. Maja Badridse nimmt es gelassen, dass Musil auf Georgisch kaum Leser findet. "Mein müsiliges Leben hat sich trotzdem gelohnt", sagt sie schelmisch, denn: "Auch in Westeuropa wird Musil nicht wirklich gelesen, fast niemand hält den Text durch. Trotzdem gibt es kulturelle und literarische Symbole, die in einer Sprache vorliegen müssen, wenn die jeweilige Gesellschaft einen intellektuellen Anspruch hat. Der Mann ohne Eigenschaften auf Georgisch - das ist mein Beitrag zur Kultur."

Ob man sich heute als Übersetzer in Georgien durchschlagen könne? Ja, aber nur mit Hilfe von Stipendien aus dem deutschsprachigen Raum. Maja hat bis jetzt größtenteils österreichische und Schweizer Autoren übersetzt. "Ohne Stipendien und Förderungen kann man als literarischer Übersetzer nicht überleben, aber das ist nicht nur in Georgien so, das gilt für alle anderen Länder auch", konstatiert Maja.

Einsamkeit und Gemeinschaft

Eine Förderung, die literarische Übersetzer aus der ganzen Welt in Anspruch nehmen können, ist ein Stipendienaufenthalt im Europäischen Übersetzerkollegium in Straelen, eine beschauliche Kleinstadt im deutschen Nordrhein-Westfalen In Nach Holland fährt man nur knapp 30 Minuten mit dem Fahrrad - für die Gäste des Kollegiums eine willkommene Abwechslung und ein Ausgleich zur kopflastigen Übersetzungsarbeit. "Hier kannst du abseits vom Alltag in einer internationalen Umgebung deinen eigenen Arbeitsrhythmus entwickeln. Hier habe ich so viel Einsamkeit, wie ich aushalten kann, aber auch so viel Gemeinschaft, wie ich aushalten kann. Immer trifft man jemanden zum Reden, kann sich aber auch jederzeit zurückziehen", erzählt Maja und gerät allmählich ins Schwärmen. „Ich habe mich in dieses Haus mit den vielen Büchern verliebt."

Das erste Aufenthaltsstipendium führte sie 2008 nach Straelen, direkt nach den kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien. "Es tat mir Leid, meine Familie zurückzulassen, aber es war eine Rettung für mich, Georgien zu verlassen und wieder auf andere Gedanken zu kommen."

Auch in Zukunft möchte sie ein Mal im Jahr für einen Monat im Kollegium an ihren Übersetzungen feilen. Das nächste Projekt steht schon fest; es ist wieder ein großer österreichischer Autor, Hermann Broch. Ihr Herzenswunsch ist, irgendwann das Werk einer großen Österreicherin ins Georgische zu übertragen - Ingeborg Bachmann. (Mascha Dabić, 27. September 2011, daStandard.at)