
Komplexe Reparaturarbeiten: "Nachbar auf Urlaub."
Horn - Sie spielen, tanzen, singen, jonglieren. Sie provozieren, begeistern, verstören, berühren. Viele befassen sich mit dem Erwachsenwerden und beleuchten die Ratlosigkeit von Jugendlichen an der Schwelle vom Elternhaus in die ungewissen Freiheit der Selbstfürsorge.
Bunt gemischt ist das Programm der diesjährigen Szene bunte Wähne, dem Theaterfestival für junges Publikum in Horn, Langenlois, St. Pölten und Krems. Erzähltheater mischt sich mit Projektionen, Tanz mit Schauspiel - und Musik ist sowieso meist dabei.
Passend zur diesjährigen Programmierung hat die künstlerische Leiterin Johanna Figl ihren Welpen Zissou zum Maskottchen des Festivals erklärt, denn die Stücke seien "wie ein bunter Hund" und wie Mischling Zissou "einfach nicht eindeutig zuzuordnen". Neben neun internationalen Produktionen stehen auch sämtliche für den "Stella"-Preis 2010/11 nominierten Stücke österreichischer Theatermacher sowie die mit dem Nachwuchspreis "Jungwild 2011" prämierten Werke auf dem Plan.
Verdrängung, Bedrängung
Es begann fulminant. Eine clowneske Akrobatikshow eröffnete die Jugendtheatertage in Horn. Die Compagnie Ea Eo aus Brüssel stellt sich in M² - Meter zum Quadrat ihrer Angst vor dem Verlust des persönlichen Lebensraumes und Individualismus.. Vier Jongleure stehen auf einer Bretterbühne, die immer kleiner wird. Was passiert, wenn einer aus der Reihe tanzt? Mit dem Verlust des Raumes geht auch jegliche Intimität dahin, die Akteure stören und bedrängen sich somit gegenseitig.
Eric Longequel, Sander De Cuyper, Jordaan De Cuyper und Bram Dobbelaere sind nicht nur ausgezeichnete Artisten, sie zeigen mit viel Humor auch eine sehr theatrale Studie über Gruppendynamik und erhielten verdiente stehende, trampelnde und ausgelassen beklatschte Ovationen.
Nach einer so energiegeladenen Eröffnung hat man es zweifellos schwer, das Publikum mit Schauspiel zu begeistern. The Loser's Club - eine von Dschungel-Direktor Stephan Rabl und dem Theatre Laboratory Open Circle aus Litauen gemeinsam konzipierte Uraufführung - möchte die Probleme und Minderwertigkeitskomplexe Jugendlicher zwischen 14 und 18 Jahren aufzeigen und versucht dies in einer lauten, chaotischen Performance. In endlosen Monologen wird ein Eiertanz um die Liebe breitgetreten, die klischeehaften Figuren (die Mädels reagieren sich beim Yoga ab, die Burschen beim Basketball) drehen sich im Kreis, die dazwischen eingefügten Songs lassen das Regiekonzept eines Musicals vermuten, das auf Experimentaltheater macht. Absicht oder Unfall?
Slapstick vom Feinsten bieten die Niederländer Andreas Denk und Jordi Casanovas von Plan-D in ihrer Open-Air-Performance Nachbar auf Urlaub. In einem alten VW-Käfer machen sich die beiden auf in den Urlaub. Plötzlich beginnt das Auto zu rauchen und verweigert die Weiterfahrt. Schnell in die Hände gespuckt, lassen sich die beiden aber nicht von einer Panne aufhalten, sondern machen sich gleich an die Reparaturarbeiten. Da sich diese hinziehen, muss erstmal der Parkplatz-Langeweile vorgebeugt werden. Die Nachbarn werden erfinderisch. Da wird eine Radkappe zur Bratpfanne umfunktioniert und die Motorhaube zum Karussell. Mit Livemusik, Tanz und humorvollem Spiel überzeugt Nachbar auf Urlaub kleine wie große Zuschauer.
Wohlstandsmüdigkeit
"Was hört normal auf und fängt verrückt an?", fragen sich die Figuren von In mir ist ein Tornado. Die mit dem Jungwild-Preis gekürte Gruppe um Christina Scheutz setzt sich mit der Welt psychisch kranker Menschen auseinander. In absurden Spiel schlüpfen die für Stella nominierten teils jugendlichen Performer von dem Stück Heldinnen - eine Produktion von t'eig uniT aus Graz - abwechselnd in die verschiedenen Rollen einer Familie und treten gegen die Wohlstandsmüdigkeit ihrer eigenen Generation auf. Regisseur Thomas Sobotka gelingt eine temporeiche Inszenierung eines familiären Psychodramas.
Mit verwandtschaftlichen Problemen und dem Loslösen einer jungen Frau von ihren Eltern befasst sich auch Valerie Kattenfeld in ihrer ebenfalls mit dem Jungwild-Preis ausgezeichneten Regiearbeit Ein Gespenst namens Zukunft. Humorvoll wird eine Familienaufstellung auf der Bühne inszeniert. (Elisa Weingartner, DER STANDARD - Printausgabe, 27. September 2011)