Der Bahnhof Shanghai ist einer der größten in China - und das Torsystem erleichtert nicht gerade die Orientierung.

Foto: An Yan

Plätze im Liegewagen sind begehrt - besonders die oberen.

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Zugfahren in China ist eine sehr kommunikative Angelegenheit.

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Meine Zugreise von Shanghai an der Ostküste zum 3200 Kilometer entfernten Kunming in den Ausläufern des Himalayas geht am Abend los und wird 42 Stunden dauern. Man würde vermuten, dass das viel Schlaf bedeutet, doch um sechs Uhr am nächsten Morgen ist jeder Passagier hellwach. Die Lautstärke im Zug erinnert an den Brunnenmarkt Samstagvormittags. Es dauert etwa zwei Stunden, bis alle die Waschbecken und Toiletten benutzt und ihr Frühstück vorbereitet haben. Jedes Zugabteil hat einen Heißwasserbehälter, so dass man immer warmes Wasser holen kann. Das typische Zugfrühstück ist eine Dosensuppe mit Gelee, Bohnen, Fleisch und Reisnudeln.

Lerneffekt garantiert

Man kann im Zug so Einiges lernen: Wie man den Deckel der Fertigsuppen am effektivsten mit der Gabel festklemmt beispielsweise. Oder dass Kinder von niemandem gerügt werden dürfen, auch nicht wenn sie auf der Liege von Fremden rumturnen oder deren Sachen zerstören. Lautes Kindergeschrei gilt als normales Hintergrundgeräusch. Snacks und Zigaretten müssen den anderen Mitfahrenden unbedingt angeboten werden; alleine konsumieren gilt als äußerst unhöflich. Dagegen ist es kein Grund zur Entschuldigung, wenn die unachtsam abgestellte Tasse bei unruhiger Fahrt ihren Inhalt auf andere Passagiere leert.

Schlafwagenplätze sind begehrt

Die richtige Hektik beginnt allerdings bereits beim Fahrkartenkauf und ist erst zu Ende, wenn man im Zug sitzt. Um eine der begehrten Fahrkarten für den Schlafwagen zu bekommen, muss man vorsorgen. Ab zehn Tage vor der Fahrt werden diese Karten angeboten und sind meistens innerhalb von wenigen Tagen ausverkauft. Die Schlafwagenplätze sind sehr beliebt denn für 55 Euro bekommt man viel Komfort um - vergleichsweise - wenig Geld. Billiger und länger verfügbar sind nur die Sitzplätze, doch die sind meist hoffnungslos überfüllt und sehr unbequem. Flugtickets sind durch die staatliche Preiskontrolle relativ billig, kosten aber trotzdem erheblich mehr. So fahren viele Chinesen immer noch lieber mit dem Zug.

Auch das chinesische Bahnhofssystem ist vollkommen anders als das europäische. Im einwohnerreichsten Land der Welt können die Fahrgäste nicht einfach den Bahnsteig betreten und einsteigen. Sie müssen im Bahnhof auf mehr oder weniger kryptischen Tafeln das richtige Tor für ihren Zug finden und an diesem warten. Erst wenn der Zug eingefahren ist, wird das Tor geöffnet. Alle Passagiere drängeln dann gleichzeitig mit ihrem Gepäck die engen Gänge und Bahnsteige entlang, um schnell in den Zug steigen zu können, der nicht besonders lange hält. Sobald man aber einmal im Zug ist, kann man ausruhen. Chinesen lieben Zug fahren, weil man dabei so gut Kontakte knüpfen, Sonnenblumenkerne knabbern und beobachten kann.

Maximale Unterhaltung garantiert

Hauptbeobachtungspunkt bin diesmal ich, die einzige Westlerin im Zug. Meine Liege ist ganz unten, so dass ich zwar den ganzen Tag einen Sitzplatz habe, aber auch bequem beobachtet werden kann. Die oberen zwei Liegen bieten zu wenig Platz zum Sitzen und Klappstühle gibt es nicht genug. So bleiben die Passagiere in Bewegung, laufen durch den Waggon, tragen ihr Kind auf dem Arm, essen ununterbrochen, gehen zum Rauchen auf den Gang oder bleiben von meiner Liege stehen und mustern mich. Sobald sich herum spricht, dass hier eine Westlerin sitzt, wollen alle mit mir reden. Um nicht unhöflich zu erscheinen, habe ich keine Wahl, ich muss die immer wieder gleichen Fragen beantworten: "Woher kommst du, was machst du hier, warum sprichst du Chinesisch?" Darauf folgen Beratungen, was man davon zu halten hat. Die Entscheidung fällt anscheinend positiv aus, denn mir werden Sonnenblumenkerne und Snacks angeboten. Meine Mitfahrer fahren auch bis Kunming und sie beginnen, mir von der Stadt zu erzählen. Es kommen den ganzen Tag über immer mehr Zuhörer, und bald kennt das ganze Abteil die Geschichte der Ausländerin, die kam, um Chinesisch zu studieren.