"Don't stop me now" - der Titel von Queen gibt gleich zu Beginn den Ton an: "Before your very eyes", eine Koproduktion von Gob Squad und dem Campo-Theater aus Gent.

Phile Deprez

Älter werden dauert. Aber das Theater hilft gerne nach. Im neuen Stück der britisch-deutschen Performancegruppe Gob Squad vergeht das Leben in Minuten. Am Ende werden die sich im Teenageralter befindlichen Schauspieler alte Frauen und Männer sein und - es ist unvermeidlich - vor unseren Augen sterben. Before your very eyes gastiert Freitag bis Sonntag im Wiener Brut-Theater.

Sieben junge Menschen zwischen zehn und vierzehn Jahren imaginieren darin ihre Zukunft. Drei Jahre zuvor, als sie noch sieben und elf Jahre alt waren, haben sie Grußbotschaften und Fragen an ihr zukünftiges Ich gestellt. Damit sind sie nun per Video konfrontiert, und es stellt sich rasch heraus, dass der Desillusionierungsgrad auch in jungen Jahren schon hoch ist: Freundschaften sind zerbrochen, Spielsachen lächerlich geworden, und Wünsche haben sich nicht erfüllt.

Doch wie geht es weiter? Wie sieht das Leben in zehn, zwanzig Jahren aus? Gob Squad hat nachgefragt und der Kinderschar eine Box auf die Bühne gestellt, mit einer (nur vom Publikum aus durchsichtigen) Glasfront, in der die Vergänglichkeit Gestalt annimmt: Mit geschminkten Augenringen und aufgeklebten Glatzen präsentieren die Kinder Vorstellungen von sich selbst in der Zukunft. Im Frascati-Theater in Amsterdam machte die Produktion gerade Station. Eine Tonbandstimme aus dem Off gibt hin und wieder auch nüchterne Anleitungen: "Hi kids, how are you?", oder: "You are here to live and then die." Die Kinder kontern gut: "I'm afraid of spiders, not of the future!"

Gob Squad waren mit ihren stets an "Realitäten" andockenden Stücken in den letzten fünfzehn Jahren überaus erfolgreich. Sie beziehen reale Territorien ein (Hotelzimmer, Straße), reale Menschen (Supermarktkassierer), Passanten oder das Publikum als freiwillige und unfreiwillige Akteure (siehe etwa King Kong Club, 2006 zu Gast beim Donaufestival).

Den Alten zeigen, wie's geht

Im neuen Stück nehmen die Performancekünstler mit einer sensationalistischen Anmoderation ironisch Bezug auf ihren Realitätskontext: "Gob Squad and Campo proudly present a live show with real children!" In Before your very eyes importieren schon allein die Kinder als Schauspieler eine Menge "Realität" in diese Glasschachtel, aus der ihre Stimmen dann via Mikroports nach außen übertragen werden. Jeder formulierte Gedanke ist "echt", die Bewegungen jeweils einem individuellen, "authentischen" Ausdruck zuzuschreiben. Und doch repräsentieren die Youngsters nicht einfach nur ihr "Ich". Sie agieren als Gruppe, die eine ganze Generation meint. Und dass sie selbst Spaß daran haben, uns Alten zu zeigen, wie's generell in der Welt mit ihnen weitergeht, das ist natürlich grandios und aufregend und zugleich niederschmetternd und dramatisch, weil sie in allem so sicher und frei sind, wie man es später meist nicht mehr sein wird.

Ausschließlich Kinder

Before your very eyes entstand auf Initiative des Theater Campo (ein Zusammenschluss aus Victoria und Nieuwpoorttheater) aus Gent bzw. seines scheidenden Leiters Dirk Pauwels. Das Kunstzentrum Campo ist eine der zukunftsweisenden Institutionen in Sachen Performance, die auf namhafte Kollaborateure wie Jérôme Bel, Vera Mantero, Jacob Wren oder Alain Platel verweisen kann. Mit dem von Victoria produzierten grandiosen Dokumentardrama Aalst (über einen Missbrauchsfall in den Niederlanden) gastierte Regisseur Pol Heyvaert 2007 beim Szene-bunte-Wähne-Tanzfestival im Museumsquartier.

Sich überhaupt für eine Produktion ausschließlich mit Kindern zu entscheiden, ohne zugleich ein Kinderstück zu beabsichtigen, ist eine Perspektive, die nicht nur im Performancebereich ziemlich einmalig ist. Campo hat bereits vor zehn Jahren damit begonnen. Am Anfang stand 2001 Josse De Pauws üBUNG, ein Stück, in dem Kinderstimmen eine dekadente Erwachsenenwelt synchronisieren; gefolgt von Tim Etchells' That Night Follows Day, einer Abrechnung mit dem Disziplinarregime der Eltern. Mit dem Thema Altern in Before your very eyes findet es nun seinen Abschluss.

Bemerkenswert daran ist auch die Durchdringung der an sich festen Grenzen zwischen Erwachsenen und Kindern in der Kunstproduktion. Weder Tim Etchells, Josse De Pauw noch Gob Squad hatten zuvor jemals mit Kindern gearbeitet - nun zeigen sie, wie viel Kinder Erwachsenen zu sagen haben. So wie die Zehnjährigen hier langweilige Sushi-Partys der Zukunft imaginieren, wenn sie einmal vierzig Jahre alt geworden sein werden, und dabei über Wein sprechen und sich beeindruckt anblicken, darin steckt das Drama einer ganzen Biografie - und natürlich jede Menge Spaß, der sich gegen diesen tödlichen Ernst wendet. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe 28.9.2011)