
Georg Winckler stand zwölf Jahre lang an der größten Uni des Landes.
STANDARD: Seit 1999 führen Sie die größte Uni des Landes. Was hat sich in diesem Jahrzehnt getan?
Winckler: Man muss sich vor Augen halten: Die Universität Wien hat 2005 in ihrer bald 650-jährigen Geschichte zum ersten Mal einen Strategieplan erstellt, wie sie sich entwickeln will. Dass die Universitäten jetzt autonom sind, ist also sicher positiv. Die negative Konstante dieser Zeit war die Frage der Uni-Finanzierung. Wir haben seit 2000 nicht genug Mittel.
STANDARD: Die Autonomie kam mit dem Universitätsgesetz (UG) 2002. Stimmt es, dass Sie an der Erstellung des Gesetzestextes maßgeblich beteiligt waren?
Winckler: Ich will meine Rolle nicht verheimlichen. Ich war damals Vorsitzender der Rektorenkonferenz. Es gab regelmäßige Treffen mit den Verantwortlichen im Ministerium. Uns war wichtig, dass die staatliche Verwaltung nicht wieder trotz formaler Autonomie in die Universität de facto hineinregiert.
STANDARD: Das UG 02 wird als entdemokratisierend kritisiert. An der Uni Wien wählen mit dem Uni-Rat neun Personen teils ohne Uni-Background den Rektor. Die 88.000 Studenten und mehr als 9000 Mitarbeiter haben nur Vorschlagsrecht. Nicht sehr demokratisch, oder?
Winckler: Dieser Begriff der Demokratie ist sehr stark auf das beschränkt, was als "Basisdemokratie" verstanden wird. Legitimation besteht aber nicht darin, dass immer alle zustimmen. Die sogenannte Demokratie an den Instituten hat davor ja dazu geführt, dass die Gesamtuniversität nicht handlungsfähig war. Wir dürfen nicht vergessen: Die Gesellschaft finanziert die Universität, wir haben ihr gegenüber eine Verantwortung. Der Rat muss daher aus Vertretern der Gesellschaft bestehen, also Leuten von außen.
STANDARD: Zum Bologna-Prozess: Weder die EU noch das Ministerium haben Voraussetzungsketten, Verschulung oder einen zwangsläufig dreijährigen Bachelor vorgeschrieben. Warum wurde das so umgesetzt?
Winckler: Voraussetzungsketten sind prinzipiell sinnvoll. Beispielsweise muss ich mit Differenzial- und Integralrechnung beginnen, wenn ich Funktionalanalysis machen will. Dass wir vielleicht manchmal zu viele davon eingeführt haben, akzeptiere ich gerne, und ich halte es für wichtig, dass man die Curricula überarbeitet. Ich bin grundsätzlich nicht für ein verschultes, sondern für ein offenes Studium.
STANDARD: 2009 kam es zur Audimax-Besetzung. Hat Sie das damals eigentlich überrascht?
Winckler: Nein. In diesem Jahr ist die Studierendenzahl sprunghaft um 12.000 gestiegen. Es war klar, dass unsere Kapazitäten dafür nicht ausreichen und dass die Studierenden das spüren werden. Dazu kamen die Aussagen, dass es nicht mehr Geld geben würde. Insofern hat mich die Audimax-Besetzung nicht überrascht.
STANDARD: Bereuen Sie rückblickend, dass aus Ihnen nie ein Audimaxist geworden ist?
Winckler: Nein, dazu waren die Forderungen zu divers. Die gesellschaftlichen Wunschvorstellungen sind das Vorrecht der Studierenden, aber ein Rektor kann sich damit nicht solidarisieren.
STANDARD: Schließlich haben Sie räumen lassen - dafür gab es Kritik. Es waren damals mehr Obdachlose als Studierende im Audimax. Am 22. Dezember hätte eine weitere Caritas-Notschlafstelle eröffnet, wovon Sie angeblich informiert wurden. Trotzdem haben Sie schon am 21. räumen lassen, ohne die NGOs zu informieren.
Winckler: Ich wusste davon nichts. Und schauen Sie, so eine Handlung kann ich nicht vorher ankündigen. Ich habe damals erfahren müssen, dass die Wiener Einrichtungen nur für Inländer da sind. Aber dennoch ist es ja wohl nicht Aufgabe der Universität, das sozialstaatliche Netz engmaschiger zu knüpfen.
STANDARD: Mit Karlheinz Töchterle ist jetzt einer Ihrer ehemaligen Kollegen Wissenschaftsminister. Bereuen Sie es, den Job nie selbst angenommen zu haben?
Winckler: Dazu, ob man mich gefragt hat, nehme ich keine Stellung. Es ist in Österreich grundsätzlich sehr schwer, diese Funktion auszuüben, weil die Gesellschaft nicht bereit ist, Forschung und Bildung den angemessenen Stellenwert zu geben.
STANDARD: Woran liegt das?
Winckler: Das hat zwei Gründe: Zum einen hat sich unsere Sozialpartnerschaft zu lange aufs Bewahren beschränkt und Innovationen vernachlässigt. Ein Beispiel: Es geht nicht darum, alle Arbeitsplätze zu erhalten, sondern wichtig ist, dass wir viele neue gute Jobs schaffen. Zum anderen liegt das am österreichischen Klientelismus. Die ÖBB-Interessen werden von einer Partei wahrgenommen, die der Bauern von einer anderen. Die Uni-Interessen werden so parteipolitisch nicht vertreten, weil die Universität ein relativ parteifreier Raum ist.
STANDARD: ...was auch ein Vorteil sein kann. Bei den aktuellen Korruptionsfällen geht es ja um Personen in hohen öffentlichen Ämtern, die zugleich lukrativen Privatgeschäften nachgehen. Auch an Ihrer Uni werden Nebentätigkeiten von Professoren kritisiert.
Winckler: Die Universitäten sind frei von politischem Lobbyismus. Das schließt nicht aus, dass Professoren Nebentätigkeiten haben. Ich selbst war als Wirtschaftswissenschafter Konsulent bei der Nationalbank, was durchaus positiv für meine Arbeit war.
STANDARD: Sie sind ja auch stellvertretender Aufsichtsratschef der Erste Group. Wie vereinbaren Sie das mit Ihrer Funktion als Rektor?
Winckler: Ich habe mich immer bemüht, das eine vom anderen streng zu trennen. Ich habe auch von Anfang an klargestellt, dass die Universität Wien ihre Geldgeschäfte nicht über die Erste Bank machen wird. Und so ist es auch geblieben. (Valentin Schwarz/Tanja Traxler, DER STANDARD, Printausgabe, 28.9.2011)