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Ein australischer Verwandter des allseits bekannten Tabaks eröffnet in genetisch modifizierter Form der Biomedizin neue Perspektiven.
Das Potenzial dieses "Glykoengineering" ist damit aber längst noch nicht ausgeschöpft.
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Sie sind grün, unauffällig und gedeihen in einem ganz normalen Gewächshaus: Nicotiana benthamiana, eine australische Verwandte des allseits bekannten Tabaks, in genetisch modifizierter Form. Wissenschafter des Departments für Angewandte Genetik und Zellbiologie der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien haben im Erbgut dieser Pflanzen ein paar kleine, aber wesentliche Veränderungen vorgenommen und damit der Forschung ungeahnte Perspektiven eröffnet.
Nur aus lebendigen Zellen
Das Ziel war überaus ehrgeizig. Die Boku-Molekularbiologin Herta Steinkellner und ihr Team hatten ein zentrales Problem der Biomedizin im Visier, das sogenannte Glykoengineering. Viele moderne Therapeutika bestehen aus kompliziert gebauten Proteinmolekülen, Polypeptiden, erklärt Steinkellner. "Hepo zum Beispiel, humanes Erythropoietin, ist ein biologisches Produkt, das man nicht chemisch produzieren kann. Man braucht dazu lebendige Zellen, daran führt kein Weg vorbei." Nur sie verfügen über die hochkomplexe Maschinerie zur Herstellung solcher Eiweißstoffe.
Hepo ist ein Botenstoff, welcher vor allem die Blutbildung anregt und deshalb mit Erfolg gegen Anämie eingesetzt wird. Er wurde jedoch auch schon häufig als Dopingmittel missbraucht. Wirkstoffe wie Hepo lassen sich mittels genetisch manipulierter Zellkulturen oder ebenso veränderter Mikroorganismen produzieren.
Auf diesem Gebiet wurden bereits große Fortschritte erzielt, die Biopharmazie boomt. Immer mehr komplexe Peptide können dank dieser "weißen Gentechnik" im Labor hergestellt werden. "Monoklonale Antikörper sind zurzeit eines der vielversprechendsten biopharmazeutischen Produkte", berichtet Steinkellner, die an der Boku auch ein vom Wirtschaftsministerium und von der Bayer Bio Science AG finanziertes Laura-Bassi-Zentrum leitet. Therapeutisch finden sie bislang vor allem im Einsatz gegen Krebs Verwendung, aber aufgrund ihrer gezielten Wirkung haben diese Antikörper auch darüber hinaus ein enormes Potenzial, betont die Expertin.
Die Sache hat gleichwohl einen Haken. Die Aktivität der biopharmazeutischen Produkte und ihre Funktion sind nicht nur von deren Struktur allein abhängig. Es gibt noch eine weitere entscheidende Komponente: die Glykosylierung. Dabei handelt es sich um einen nach der eigentlichen Proteinsynthese stattfindenden Prozess, bei dem bestimmte Zuckerketten, Oligosacchariden, den Eiweißmolekülen wie Antennen aufgesetzt werden.
Solche Strukturen, Glykane genannt, sind für die Wirkung vieler Proteine von größter Bedeutung. Sie dienen unter anderem als Erkennungs- und Anheftungsstelle für andere Peptide. Glykane gibt es in vielerlei Formen und Ausführungen. Das kann Probleme verursachen. Biopharmazeutisch eingesetzte Mikroorganismen setzen den Eiweißmolekülen nicht dieselben Zuckerantennen wie menschliche Zellen auf.
Mit weitreichenden Folgen. "Glykosylierte Proteine aus Hefezellen lösen im Menschen starke Immunreaktionen aus", sagt Steinkellner. Das körpereigene Abwehrsystem erkennt diese Peptide aufgrund ihrer abweichenden Glykane als Fremdkörper und macht kurzen Prozess mit ihnen. Für den medizinischen Einsatz sind solcherart modifizierte Proteine daher nicht geeignet.
Die Lösung, eine Pflanze
Um diese Probleme zu umgehen, lassen sich Glykoproteine wie Hepo in Säugetierzellkulturen herstellen. Dabei werden jedoch gleich mehrere Varianten mit unterschiedlicher Glykanausstattung gebildet. Das Auftrennen solcher Mischungen mit dem Zweck, die gewünschte Molekülversion in Reinform zu erhalten, ist sehr aufwändig. Es geht allerdings auch anders, wie Herta Steinkellner berichtet. "Pflanzen haben ähnliche Glykanstrukturen wie Menschen und andere Säuger, und sie produzieren gleichzeitig ein homogenes Glykoformmuster." Mit anderen Worten: Pflanzenzellen verfügen über vergleichbare Glykangrundbausteine wie Säugetiere, setzen diese aber praktisch immer in den gleichen Kombinationen ein. Gemische bilden sie wenige bis gar nicht. Das kann man sich zunutze machen.
Steinkellner und ihre Kollegen erdachten einen raffinierten Trick. Sie schalteten zwei Pflanzengene durch Manipulation ab und brachten damit die ganze arteigene Glykosylierung zum Erliegen. Als Ersatz schleusten die Experten verschiedene menschliche Gene ein. Das funktionierte. Die australischen Tabakpflanzen produzierten nunmehr humane Glykosylierungsenzyme - und statteten ihre Peptide in entsprechender Weise mit hochkomplexen Glykanen aus. "Eine große Sensation", schwärmt Steinkellner.
Es folgte ein zweiter Durchbruch. Die Boku-Forscher setzten den sogenannten Magnicon-Vektor ein, um weiteres menschliches Erbgut in die bereits genmanipulierte Nicotiana benthamiana einzupflanzen. Magnicon ist eine stark umgebaute Variante des aggressiven Tabakmosaikvirus. Letzterer greift vor allem die Zellen in den Blättern an, bringt diese dazu, fast ihren gesamten Stoffwechsel auf die Virenvermehrung (oder jene der gewünschten Proteine) auszurichten. Steinkellners Team verband das Magnicon-System mit den Genen für Hepo und menschliches Transferrin (hTF), und infizierte damit die australischen Tabakmutanten.
Das Ergebnis war beeindruckend. Aus den Blättern der so behandelten Pflanzen konnten die Fachleute innerhalb einer Woche beide Botenstoffe in relativ hohen Konzentrationen gewinnen. Und diese wiesen auch noch die gewünschte, humanidentische Glykosylierung auf. Weitere Details wurden im Magazin Glycobiology veröffentlicht (Bd. 21, S. 813).
Antikörper gegen Ebola
Der neue methodische Ansatz birgt ein enormes Potenzial. "Wir können jetzt viele verschiedene Glykoproteine homogen, also in Reinform herstellen. Das war bislang nur sehr schwer bis gar nicht möglich", sagt Steinkellner begeistert. Die erforderlichen Arbeiten wurden vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF finanziell unterstützt. Welche Chancen das "Glykoengineering" bietet, zeigte sich neulich bei der Entwicklung eines monoklonalen Antikörpers für den Einsatz gegen das gefürchtete Ebolavirus, an der Steinkellner ebenfalls beteiligt war.
In diesem Fall zeigte ein Peptid mit künstlich verkürzten Glykanantennen in Laborversuchen erhöhte Wirksamkeit gegen den tödlichen Krankheitserreger. Die Studienergebnisse werden demnächst in der renommierten Wissenschaftszeitschrift PNAS publiziert. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.09.2011)