Griechenland wird aus eigener Kraft den für nächstes Jahr errechneten Schuldenstand von 190 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes nicht reduzieren können, deshalb sieht der ehemalige Vorsitzende der Wirtschaftsweisen Wolfgang Wiegard keinen anderen Weg aus der Krise als einen Schuldenschnitt ("haircut").
Griechenland müsste 23 Prozent Zinsen bezahlen um sich selbst refinanzieren zu können. Das sei nicht realistisch, deshalb eine "Umschuldung letztlich unausweichlich", erläutert der ehemalige Vorsitzende des Weisenrats Wolfgang Wiegard bei einem Vortrag anlässlich des ersten Industrie Foyers in Salzburg. Seines Erachtens werde der Schuldenschnitt kommen. Ausgearbeitete Pläne zu diesem Schritt müssten bereits bei den Ministerien und den Notenbanken in den Schubladen liegen, betont Wiegard. Wenn kein Haircut komme habe man "ein Fass ohne Boden".
Auch negative Auswirkungen
Natürlich habe ein Schuldenschnitt auch negative Auswirkungen. Die griechischen Banken müssten rekapitalisiert und Unternehmen refinanziert werden. Auch deutsche Banken, die griechische Staatsanleihen besitzen, müssten im Zuge eines Schuldenschnitts rekapitalisiert werden. Zusätzlich müssten der europäische Rettungsfonds EFSF und die Europäische Zentralbank (EZB) Kapital bereitstellen, um zu verhindern, dass sich die Krise auf andere Euro-Länder ausweitet, erklärt der Volkswirtschaftler.
Politik versteht eigene Beschlüsse nicht
Die Politik müsse genaue Pläne ausarbeiten, um zu verhindern, dass weitere Mitgliedsstaaten in die Schuldenkrise schlittern, sagt Wiegard. Die bisherigen Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs seien "zaghaft, unklar und problematisch". Bloßes Gerede verunsichere die Märkte, gibt Wiegard zu bedenken. Die Bewältigung der Schuldenkrise fordere aber ein schnelles und entschlossenes politisches Handeln.
"Die Politik scheint wesentliche Teile der Beschlüsse zur Beteiligung der privaten Gläubiger nicht verstanden zu haben", kritisiert Wiegard. Diese These führt er darauf zurück, dass bei den Gipfelbeschlüssen die Vorlage des internationalen Bankenverbandes (IIF) schlichtweg vorgelesen wurde. Die Entlastung der griechischen Staatsschulden durch die private Gläubigerbeteiligung sei hingegen gering, fasst Wiegard zusammen.
Zu den Ursprüngen von Maastricht zurück
Gleichzeitig müsse sich die Politik für einen künftigen Ordnungsrahmen in der Europäischen Union entscheiden. Mit den derzeitigen Maßnahmen gegen die Krise gehe man schrittweise von den Grundsätzen aus dem Maastricht-Vertrag ab. "Mit der Ausweitung der Befugnisse der EFSF wird durch die Hintertür faktisch eine Haftungsgemeinschaft geschaffen", erläutert Wiegard. Das widerspreche aber dem Artikel 129 des Maastricht-Vertrages, nach dem kein Mitgliedstaat für einen anderen Mitgliedstaat die Haftung übernehmen müsse. "Das wird aber von der Politik verschleiert und bestritten", kritisiert der ehemalige Vorsitzende des Weisenrats.
Eine Haftungsübernahme bringe auch "Anreizkonsequenzen" mit sich. Ein verschuldeter Mitgliedstaat würde sich nicht mehr anstrengen die Verschuldung abzubauen, wenn ein andere reicherer Mitgliedstaat für ihn haftet.
Die Sanktionen für Länder, die gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen, müssten zusätzlich automatisiert werden und nicht von den Politikern entschieden werden. Auch Deutschland verstoße gegen die Kriterien, nach denen nur Staatsschulden von 60 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung eines Landes erlaubt sind. Strengere Verträge auf Basis des ursprünglichen Maastricht-Abkommens wären langfristig gesehen sinnvoller, dies müsse aber die Politik entscheiden, betont der Experte.
Italien darf nicht Pleite gehen
Angst um den Euroraum hat Wiegard aber nicht: "Die Währungsunion wird wohl überleben." Die eigentliche Frage sei aber nicht ob die Währungsunion weiter bestehen werde, sondern wie viel ihr Fortbestand kosten wird und wer den Preis dafür zahlt. Die Antwort liege auf der Hand: die Steuerzahler. Schon jetzt komme eine enorme Haftungssumme von insgesamt 1680 Milliarden Euro auf die europäischen Steuerzahler zu. Die österreichischen Steuerzahler müssten mit einer maximalen Haftungsübernahme von 49,2 Milliarden Euro rechnen, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Die Belastungen aus einem 50-prozentigen Schuldenschnitt wären wesentlich geringer. Deshalb müsse die Politik daran arbeiten, die Schuldenkrise auf Griechenland zu begrenzen und Überschwappeffekte zu vermeiden, indem man andere Banken rekapitalisiere, erläuterte der Wirtschaftsexperte.
"Italien ist der Knackpunkt", betonte Wiegard. Wenn auch Italien unter den Rettungsschirm schlüpfe, sei dieser nicht mehr finanzierbar und der EU-Raum „steht unter Flammen". (Stefanie Ruep, derStandard.at, 28.9.2011)