Die Regierungsparteien sind dermaßen unten durch, dass allenthalben über "etwas Neues" diskutiert wird. Etwas Neues muss her! Aber was? Es wimmelt geradezu von Initiativen für Volksbegehren und Demokratieerneuerung, von "Mein Österreich" bis "Respekt". Auch über neue Parteien wird nachgedacht. Das Dilemma: Bei der derzeitigen Misere sind nicht so sehr die Programme das Problem, sondern die Personen. - Brauchen wir eine neue ÖVP? Eine liberale Partei? Eine neue Linke? Die Piraten? Oder einfach mehr Zivilgesellschaft? Kann ein Mehr an direkter Demokratie die repräsentative Demokratie neu beleben?

Jahrzehntelang war das Parteienschema im demokratischen Europa ziemlich einfach und grosso modo auch erfolgreich. Es gab Christdemokraten und Sozialdemokraten, Mitte rechts und Mitte links. Das waren die Großen. Und als Zugabe und Koalitionshelfer noch ein paar Kleine am Rande, Liberale, Grüne, Links- und Rechtsradikale. Diese letzteren waren/sind meist sogenannte Ein-Thema-Gruppierungen. Die Liberalen wollten weniger Steuern für Freiberufler, die Grünen mehr Umweltschutz, die Linksradikalen mehr Verstaatlichung und die Rechtsradikalen weniger Zuwanderer. Alles nachvollziehbare Forderungen. Aber - bis auf die Rechtsradikalen - zu wenig, um drumherum eine Großpartei zu formieren.

Was die Liberalen angeht, pflegte der verstorbene liberale Publizist Claus Gatterer zu sagen, er möge liberale Katholiken und liberale Kommunisten, aber Liberale allein seien nicht genug. Wer liberale Werte hochschätzt - Rechtsstaat, Verantwortung, Leistung, Menschenrechte - könnte, wenn es allein nach den Programmen ginge, auch bei SPÖ und ÖVP fündig werden. Theoretisch haben diese das alles zu bieten, die einen mit dem humanistischen Unterfutter der Arbeiterbewegung, die anderen mit dem der christlichen Soziallehre. Nur bei der Praxis hapert's.

Charismatische Persönlichkeiten, die die historischen Parteien erneuern könnten, sind nicht in Sicht. Kritische Vorschläge kommen von renommierten Altpolitikern wie den Proponenten von "Mein Österreich" und vom Bildungsvolksbegehren-Betreiber Hannes Androsch. Junge meiden meist die Politik.

Ein Hoffnungsschimmer sind allenfalls die jungen Leute von der Sektion 8 der SPÖ, die keine allgemeinen Weltverbesserungsideen anboten, sondern sich mit der konkreten Forderung nach Verbot des Kleinen Glücksspiels gegen die Wiener Parteilinie durchsetzten.

Aber im Allgemeinen ist der Weg des Berufspolitikers im Zeitalter der Vermarktung von allem und jedem, der Medienberater und Imagepolierer, der Netzwerker und Kontaktakrobaten nicht verlockend für Menschen, denen es vor allem auf Inhalte ankommt.

Die Geschichte lehrt, dass bedeutende Politiker meistens nicht in ruhigen Zeiten hervorgetreten sind, sondern in Epochen, in denen politisches Engagement keine Pfründe gebracht hat, sondern Schwierigkeiten und Verfolgung. Vielleicht muss die Krise noch ärger werden, um neue Hoffnungsträger hervorzubringen.

Bis dahin muss das ersehnte Neue wohl aus der Mitte der Zivilgesellschaft kommen.(STANDARD, Printausgabe, 29.9.2011)