Einige der auch wunderbar retro gestalteten Schätze, die man auf der Internet-Plattform "Awesome Tapes From Africa" gratis heben kann.

Foto: Awesome Tapes

Der in New York lebende Internet-Blogger und DJ Brian Shimkovitz bereist seit 2002 regelmäßig den afrikanischen Kontinent. Von seinen Reisen brachte er jedes Mal säckeweise Musikkassetten mit nach Hause. Sie gelten in Afrika immer noch als zentrales Medium zur Verbreitung von Musik. Einerseits halten sie höhere Temperaturen aus als CDs. Andererseits genügen einfache und billige, in der "ersten Welt" längst ausrangierte Kassettenrekorder mit Doppellaufwerk, um sie schnell und einfach zu kopieren. Man muss dies jüngeren Menschen, für die der Besitz eines Laptops selbstverständlich ist, möglicherweise erklären.

Seit 2006 will Brian Shimkovitz seine akustischen Schätze auch nicht länger als sammelbesessener Nerd daheim im Giftschrank für musikalische Obskuritäten horten. Er bereist als Kassettenjockey mittlerweile die ganze Welt. Und Shimkowitz stellt seine Sammlung online. Unter der Adresse www.awesometapes.com findet man sein wenn auch nicht um Vollständigkeit bemühtes, sondern eher dem Zufall verdanktes Projekt "Awesome Tapes From Africa" und mittlerweile hunderte Tapes, die der interessierte Hörer gratis downloaden kann.

Das ist zwar nicht schön für die Künstler, die in ihren Heimatländern aufgrund oft fehlender Copyright-Gesetze und eines traditionell den Markt bestimmenden Raubkopistentums ohnehin selten Geld für ihre Musik sehen. Andererseits ist Shimkovitz darum bemüht, mit den Künstlern in Kontakt zu treten, ihren Segen für Gratis-Downloads im Sinne einer Gratiswerbung im "Westen" zu erhalten. Und manchmal klappt es auch schon, einzelnen Acts internationale Gastspiele zu verschaffen.

Ab Oktober geht Shimkovitz mit der Gründung des Labels "Awesome Tapes From Africa" den Weg der Bezahlmusik. Er veröffentlicht ein seit 1982 vergriffenes Album der in Mali beheimateten und immer noch aktiven Folk-Sängerin Na Hawa Doumbia mit dem Titel La grande Canatrice Malienne Vol. 3 auf Vinyl, CD und offiziellen Downloadplattformen. 50 Prozent der künftigen Einnahmen will Shimkovitz an die Künstler selbst abführen.

Wenn man sich durch diese wilde und verstörende Welt zwischen afrikanischen Volkmusiken an der Schnittstelle zum international gängigen Pop kämpft, kann man mitunter atemberaubende Schätze entdecken. Jüngst etwa wurde auf Awesome Tapes eine Kassette von Prince Khonjo 99 With Midzi Heritage Sound aus Nairobi gestellt. 1999 eingespielt, erlebt man eine verstörende Kombination aus traditionellen Call-and-Response-Gesängen, perkussiver Begleitung und einem vorsintflutlichen Drumcomputer, der dem Gründerzeit-Hip-Hop eines Grandmaster Flash auf der Spur ist, inklusive exzessiver Scratch-Effekte aus der Steckdose.

Ein Schwerpunkt des Labels liegt auf Künstlern aus Ghana, immerhin lebte Shimkovitz dort ein Jahr lang. Und auch hier wird mit dem Stil des dortigen "Hiplife" an der Schnittstelle von polyrhythmischer Highlife-Musik und HipHop gearbeitet. Neben Talking-Drums- und Daumenklavier-Artisten, nordafrikanischem Rai, bizarren Verschränkungen von Whitney-Houston-Koloraturen mit tribalistischen Trommeln auf Hardcore-Techno-Betriebstempo und südafrikanischen Studien zum Thema Eurodance und Dr. Alban kann man sich wochenlang bestens unterhalten.

Und man kann aufgrund der für MP3-Formate beachtlichen Datenmengen auch seinen Computer gut mit obskurer, bastardisierter Musik zwischen Tradition und Moderne zumüllen. Spät, aber doch: Kommen Sie, staunen Sie! (Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 30.9.2011)