Anreise & Unterkunft

Nächster internationaler Flughafen ist Glasgow. Keine Direktflüge von Wien. Z. B. mit www.klm.com, www.british airways.com, www.airfrance.com, näher liegt der Flughafen Inverness (per British Airways). Weiterreise per Fähre der Gesellschaft Caledonian MayBrayne: Von Uig nach Tarbert (Harris) sowie von Ullapool nach Stornoway (benachbarte Inselhälfte Lewis). 

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Infos über Fahrpläne und diverse Rund-Ticket- Optionen zum Island-Hopping: www.calmac.co.uk. Weitere Informationen beim offiziellen Tourismusamt www.visitbritain.com oder den regionalen Behörden: www.visithebrides.com. Hilfreich bei der Zimmersuche: www.scottishaccommodationindex.com

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Öffentlichen WCs sagt man normalerweise nichts besonders Gutes nach. Die Sehschlitze der alten Pariser Pissoirs mögen eine Ausnahme sein, auch herzförmige Alpenpanoramen fallen mitunter in die Best-of-Toilet View-Kategorie. Die Häuschen von Huisins tun das ganz gewiss. Auch sie punkten mit dem weiten Horizont, der in entspannenden Momenten Tràigh Hùisinish streift, Harris Silver Beach, die jetzt, im satten Nachmittagslicht aber gar nicht silbrig aussieht, sondern eher so, wie man sich die Karibik ohne Westentaschenthermometer vorstellt: weißer Sand und türkisgrüne See. Muscheln am Strand. Aber kein Insulaner in Sicht, noch nicht einmal ein gummihäutiger Surfer. Dafür die grünen Perücken der Dünengräser. Sowie Karnickel in rauen Mengen, zutraulich genug, um die Popularität des Traditionsgerichts "rabbit stew" ernsthaft infrage zu stellen. Ebenfalls reichlich vorhanden rund um die Traumbucht Tràigh Hùisinish: Schafe, zu deren tragender Rolle wir allerdings erst etwas später kommen werden, nämlich nach der Klärung diverser Details hinsichtlich der Anreise zur hebridischen Frostschutzkaribik.

So geht's zum schönsten Klo-Blick Schottlands: Mietwagen ex Glasgow, immer weiter nach Nordosten. An weißlackierten Zäunen und aus Zeitmangel leider auch an diversen Country-Inns vorbei. Und an der Mole von Uig am stämmigen Herrn der Caledonian MacBrayne Ferries, der mit den Manieren eines Gentleman-Popeyes ins Innere des hummerroten Eisenwals weiterwinkt, der Fähre nach Tarbert, das kleine Häuserknäuel im fransigen Küstensaum der Äußere-Hebriden-Insel Harris.

Torf und blaue Ballonblumen

Von hier ist es nur mehr eine knappe Stunde: über Hügelkuppen mit Hochschaubahncharakter, einmal durch den Park des unerwartet auftauchenden Abhainn Suidhe Castle, Spielzeug des lokalen Murray-Clans, um beim Silberstrand außer Regenjacke, Wollplaid, Whisky-Flachmann endlich auch alles Übrige hinter sich zu lassen: die WC-View, den Mietwagen, Termine - und schon gar die Vorstellung vom Ende Europas, weil man es hier ja längst erreicht hat.

Ein netter Fußweg führt diesen Rand entlang. Quer über schmatzenden Torf und die geschützte Machair-Vegetation, Letzteres ein alter gälischer Name für den fruchtbaren küstennahen Bodenmischtyp aus basischen Muscheln und saurem Torf, der jahrtausendelang die Versorgung der Ansässigen garantierte - auch wenn die Bewohner von Crabhadail, dem Weiler am Ende der kleinen Wanderung, das irgendwann einmal anders sehen wollten. Die schlichten Steincottages wurden schon vor Generationen aufgegeben. Jetzt gehört der schmale, von Kriechweiden und blauen Ballonblumen gesäumte Weg über das Glen Cravadale den wenigen Wanderern, die von hier aus gleich drei angrenzende Lochs errei-chen.

Allein deswegen könnte man nach Harris kommen - und natürlich wegen der Jagd auf Schafe, deren fabulöse Wolle hier auf ein besonderes Textil getrimmt wird, das eigentlich eine Art von Lebensgefühl ist: Tweed, was im ersten Moment ärger klingt, als es ist. Man stelle sich einfach eine Kreuzung aus Vivienne Westwood und Herrn Mensdorff-Pouilly vor, stecke sich Whisky in die bequemen Seitentaschen, trabe los. Tweed umfasst auch das.

Twenty is plenty. So steht es auf dem Verkehrsschild an der Einfahrt nach Grosebay, einer kleinen Ansammlung der ortsüblich weißgeschlämmten Häuser, die sich an der sogenannten Golden Road über das grüne Patchwork aus Halbinselchen verteilen, die South Harris wie einen großen lappigen Salatkopf in der Atlantikspüle treiben lassen. "Twenty is plenty" - Sinn macht die Aufforderung zum Schleichen allemal. Denn mit mehr als 20 Meilen durch die herrliche Gegend zu rollen, ist im Rahmen einer seriösen Tweedsakkojagd auch nicht wirklich drin, weil man sich erstens mit den Schafen tweedy incorrect in die Wolle kriegen könnte und weil man zweitens die Seerosenteiche in den düsteren Miniseen und diverse Panoramablicke auf die tiefer unten tosende Hebridensee übersehen könnte und, am allerschlimmsten, die führende Tweed-Adresse der Gegend verpasst, "The Harris Tweed Company". In deren Showroom kann man die hebridische Urnatur auch bei Nieselregen bewundern, mal andächtig auf-, dann wieder zuknöpfen. Denn irgendwie scheint ganz Harris in die herrlichen Stoffe eingewoben: das Rostrot der Oktober-Heide und das schwere Grau der Regenwolken - sie finden sich auch zwischen Revers und Knopfloch der warmen Tweed-Sakkos und -Kostüme, von der schwarzen Tiefe des Torfs und feinen Linien frischer atlantischer Bläue, von den erdigen Brauntönen, die sich im Winter über die Insel breiten, gar nicht erst zu reden.

Hundertfünfzig Jahre ist es jetzt her, dass die Bewohner Harris' den legendären Wollstoff weben, den ein Londoner Handelshaus irrtümlich nach dem Fluss im englisch-schottischen Grenzgebiet benannte. Viel Elementares spielt seit je in diese Geschichte hinein, wie es sich für einen Modevorposten im stürmischen Atlantik ja auch gehört: Da wären die Flechten, mit denen die Stoffe einst gefärbt wurden, und das Torfwasser, das die Wolle weich machte. Da gab es die dürren Tage der Kartoffelfäule, die frühen Meisterweberinnen, die als Parsley Sisters Lokalgeschichte schrieben, und nicht zu vergessen: Lady Catherine Dunmore, die zuerst die superbe Qualität der wasserfesten Wollstoffe, dann deren wirtschaftliches Potenzial schätzen lernte und die der Reihe nach den Familien-Tartan des lokalen Murray-Clans in Tweed weben ließ, dann die Tarnanzüge der lokalen Wildhüter, schließlich die royale Rutsche nach London legte: Noch während der Regentschaft Queen Victorias hatten es die Hebridenweber geschafft: Harris- Tweed ging im Buckingham Palace aus und ein, hatte sich als Statussymbol der Leisure-Schublade "english country gentleman" etabliert. Cut.

Launen der Witterung

Wer Grosebay wieder verlässt, jetzt in ganz privaten Tweed gehüllt, hofft instinktiv auf Regen. Immerhin soll das teure Wollzeug nun zeigen, was es kann. Auch Southern Harris zeigt soeben, was es kann. Die Sakkos haben sich wieder in Schafe verwandelt und die Rauten und Karos des Tweed in kleine Weiden und in frisch gestochene Torfwürfel, die am Straßenrand auf den windigen Winter warten. Hier und da naschen neu entstandene Labels - die Meeresalgenseifen der Hebridean Soap Company oder die Abhainn+Dearg Distillery, seit 2008 Schottlands westlichste Whiskybrennerei - am "Made in Outer Hebrides"-Nimbus mit, der von jeher zum Charakteristikum des Harris Tweed gehört.

Höhen und Tiefen hat der - seit 1993 per Gesetz geschützte - Wollstoff seither erlebt. Aber das sind bloß Ziffern, mal größere mal kleinere. Hollywood und Sherlock Holmes, Dior und Ferrari-Sitzbezug - mit dem Material hat das nicht viel zu tun, mit Harris noch viel weniger. Wetterfest trifft es schon eher und solide gegen die Launen der Witterung, nicht so sehr wider jene der Märkte. So schält sich Harris' Hauptort, das klein gebliebene Fischerkaff Tarbert denn auch standesgemäß aus dem Nieselregen, weil mit der Aura einer Hauruck-Tweed-Hochburg der Modewelt behaftet. Stoffballen in primitiven Lagerhäusern machen diese aus und weiche Wolldecken zwischen Fish and Chips und Pub. (Robert Haidinger/DER STANDARD/Rondo/30.09.2011)