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Wir wissen jetzt, dass Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ein Bison erlegt hat. Woher wir das wissen? Aus Timeline, Facebooks neuer Art, das Benutzerprofil anzuzeigen, die noch für viel Aufregung über das tote Bison hinaus sorgen wird.

Die größte Veränderung, seit es das soziale Netzwerk gibt

Für inzwischen 800 Millionen Facebook-User ist Timeline die größte Veränderung, seit es das soziale Netzwerk gibt. Statt künftig auf der persönlichen Seite eine Liste der rund zwei Dutzend jüngsten Meldungen, Fotos und Aktivitäten (von "hat ihren Beziehungsstatus von Single auf ,in einer Beziehung' geändert" bis zu "ist jetzt mit XY befreundet") zu finden, will Timeline nichts weniger als "die Geschichte deines Lebens sein" (Zuckerberg). Gewissermaßen eine fortlaufende Autobiografie in Form von Facebook-Posts und Ereignissen.

Dies sieht dann, in unserem Promi-Beispiel, so aus: Als Zuckerberg Timeline anhand seiner eigenen vorstellte, sahen wir den Eintrag "grillt gerade Bison-Burger". Zuvor hatte der Jungmilliardär in einem Interview erklärt, nur Fleisch von Tieren zu essen, die er selbst getötet hat. Das Magazin Fortune wiederum berichtete, er habe eine Jagdlizenz erworben. Eins plus eins plus eins ergibt ein erlegtes Bison.

Gespenstisch

Das Gespenstische an Timeline besteht darin, dass die Einträge, die sich bisher auf unserer Profilseite zusammenläppern, nicht einfach chronologisch von jetzt bis zum Anfang abgespult werden. Facebook hat Algorithmen entwickelt, die das angeblich Wichtige vom Unwichtigen trennen, die Bedeutsameres - sagen wir die Änderung des Beziehungsstatus von "in einer Beziehung mit" zu "Single" - hervorheben. Und dieses mit anderer auf Facebook greifbarer Information verbinden, zum Beispiel, wer denn der oder die Verflossene ist. Hat eine Userin, ein User beispielsweise Geschwister auf Facebook, dann werden deren Informationen am Geburtstag mit der eigenen Timeline verknüpft. Wenn man mit Facebook Places an einem Aufenthaltsort "eincheckt", summiert Timeline dies zu einem Soziogramm der Orte, denen wir öfters oder seltener Besuche abstatten.

Da Timeline derzeit erst Entwicklern zugänglich ist, sind manche Details noch nicht bekannt, etwa ob Timeline optional oder künftig die einzige Form des Profils ist (wer abenteuerlustig ist: Über developers.facebook.com kann man sich zum Entwickler machen und schon jetzt sein Profil in Timeline verwandeln).

Jugendbilder

Wir sind diesem Online-Tagebuch nicht ausgeliefert: Wie schon jetzt können wir bestimmen, für wen wir welche Posts verfassen, wer was von uns sehen kann (von gar nichts bis alles). Die sprichwörtlichen peinlichen Jugendbilder, die in keiner Diskussion über Privatsphäre fehlen dürfen, sollten ohnehin längst entfernt sein, wenn man ihre Nebenwirkungen fürchtet.

Auch wenn Timeline nur eine andere Form ist, zugänglich zu machen, was bereits vorhanden ist: Ein Stück dreht Zuckerberg (und Millionen Benutzer bereitwillig mit ihm) das Rad in Richtung weniger privat, mehr öffentlich weiter. Darum gilt mehr als je zuvor: Wer nicht will, dass seine Teilnahme an Jagdgesellschaften und Sauschädelessen bekannt wird, der postet sie besser nicht. Aber vielen soll dies ja nicht unangenehm sein.  (helmut.spudich@derStandard.at
PERSONAL TOOLS HELMUT SPUDICH, DER STANDARD Printausgabe 29. 09. 2011)