
Das Buchcover verspricht, was vom Inhalt gehalten wird - es geht blutig zu auf der Intensivstation.
"Hätte ich das gewusst", diesen Satz hörte Birgit Bergfeld* immer wieder. Daher hat sich die Krankenschwester auf einer Intensivstation dazu entschieden, ein Buch über ihren Berufsalltag zu schreiben. Denn viele Unfälle seien vermeidbar, berichtet sie: "Viele Patienten, denen ich auf der Intensivstation begegne, sind durch eigenen Leichtsinn verunglückt." Mit ihrem Buch "Willkommen auf der Intensivstation" gewährt sie einen Einblick in eine Welt, die niemand gerne betritt.
Natürlich gebe es viele Verletzte, die zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sind. Trotzdem: PatientInnen, die mitten in der Nacht eingeliefert werden, kommen nicht selten nach einem Discobesuch, berichtet sie. Auch beliebt sei es, den ersten Schnee mit Sommerreifen zu testen. Je nach Jahreszeit sind auch die Obstpflücker gefährdet, berichtet Bergfeld: "Diese sind meist mehr als 60 Jahre alt und klettern mit oder ohne Leiter in Obstbäumen herum."
Leichtsinn, Dummheit, Kurzschlusshandlungen
In der Hitliste der gefährdeten menschlichen Lebewesen: RadfahrerInnen, die in Schienen stecken bleiben oder von AutofahrerInnen übersehen werden und FußgängerInnen, die mit dem MP3-Player den Verkehr nicht mehr wahrnehmen. Und etwas überraschend: Hoch im Kurs stehen auch Betrunkene, die vom Barhocker fallen.
"Tragt mich ins Auto, ich fahre euch alle heim"
Manche verunglückten LenkerInnen hätten Promillewerte, "bei denen ich nicht einmal mehr meine Autoschlüssel finden könnte", wie es Bergfeld ausdrückt. Die Einsicht, dass man nach zehn Bier nicht unsterblich ist, komme oft erst im Krankenhaus. "Ich nahm mir vor alles aufzuschrieben, was Patienten auf einer Intensivstation erwartet. Vielleicht schaltet dann der eine oder andere vor seiner Alkoholfahrt doch sein Gehirn ein", berichtet die Schwester.
Den ersten Eindruck, falls man bewusstlos eingeliefert wird und erst in der Intensivstation aufwacht, beschriebt die Autorin folgendermaßen: "Sich im Traum bei Star Trek wiederzufinden ist dagegen ein Witz." Kabel, Lichter und ein permanententes Piepen im Hintergrund begleiten den Heilungsprozess.
Banane als Telefon
Das setzt jedoch voraus, dass die PatientInnen noch etwas mitbekommen, beschreibt die Krankenschwester: "Mit etwas Pech erleiden Sie einen Frontalhirnschaden und können Ihr Denken und Handeln nicht mehr logisch steuern. Sie befinden sich dann in einer vollkommen anderen Realität, benutzen eine Banane als Telefon und sind über den schlechten Empfang ernsthaft verärgert." Schwarzer Humor muss dabei sein, sagt Bergfeld, denn er stelle etwas Abstand zu vielen belastenden Situationen her.
Händedruck für Privatpatienten
Die Autorin schildert, was auf die Verunfallten zukommt: "Wenn ein Dutzend Weißkittel das Zimmer stürmt, niemand sie als Mensch wahrnimmt, geschweige denn begrüßt, dann können Sie sicher sein: Es ist 'Chefvisite'." Intern werde das auch "Muppet-Show" genannt. Die Orientierung sei aber nicht so schwierig, wenn man über ein paar Grundinformationen verfügt: "Der Chef ist leicht zu erkennen: Er ist jener, der am Fußende des Bettes steht, sich mit der Hand das Kinn reibt und in großes Schweigen hüllt. Als Privatpatient bekommen Sie natürlich einen persönlichen Händedruck, das ist wichtig für die Abrechnung."
Doch nicht nur die PatientInnen machen etwas mit, auch die Krankenschwestern und Pfleger kommen manchmal nicht unbeschadet davon. Restalkoholisierte PatientInnen sind nach der Narkose manchmal weniger kooperativ. "Eine Brille hat es mich persönlich gekostet", resümiert die Intensivkrankenschwester. Ein Kollege kam nicht so glimpflich davon und musste zum Zahnarzt. "Bettgitter seien relativ kurze Metallbegrenzungen und werden hintereinander montiert. Wenn ein Patient so ein Stück lockern kann und uns in das Gesicht schlagt, kann es gröbere Verletzungen geben", erzählt Bergfeld.
Aber auch die PatientInnen tragen bei Aussetzern Schäden davon. So ist zum Beispiel ein Tubus am Ende geblockt, also mit einem Ballon versehen. Stimmritzen sind jedoch nicht dazu gedacht, Platz für solch einen Ballon zu machen, der etwa die Größe einer Walnuss hat. "Wenn die Stimmbänder einreißen, ist es mit der Opernkarriere vorbei", kommentiert Bergfeld trocken.
Traumberuf Krankenschwester
Trotzdem sei Intensivkrankenschwester ihr Traumberuf, sagt sie: Bereits mit acht Jahren wollte sie Krankenschwester werden. Damals lag sie wegen eines angeborenen Herzfehlers in der Kinderklinik und musste operiert werden. Sie teilte sich mit 13 Kindern ein Zimmer und hatte viel Spaß mit den betreuenden Krankenschwestern. "Nach meiner kindlichen Einschätzung musste das also ein toller Beruf sein", schreibt sie.
Es sei eine harte Arbeit, die aber auch sehr befriedigend sein kann, sagt Bergfeld im Gespräch: "Ich weiß, das klingt komisch. Aber wenn ein Patient blutverschmiert zu uns kommt und nach meiner Wäsche wieder ansehnlich ist, ist das sehr schön für mich." Es helfe, "von der Grundstruktur ein ausgeglichener Mensch zu sein", um den Alltag im Krankenhaus zu bewältigen. Auch Ruhe und Unterstützung nach der Arbeit zu Hause seien wichtig. Zu den KollegInnen baue man oft ein enges Verhältnis auf, man fängt sich gegenseitig auf und muss sich in der Zusammenarbeit aufeinander verlassen können.
Kraft sammeln
Und dann gibt es die Fälle, die in Erinnerung bleiben und Kraft geben: Die junge Julia wurde mit schweren Hirnverletzungen auf die Intensivstation eingeliefert. "Wir befürchteten alle, dass sie es nicht schafft. Doch sie hat sich toll erholt. Jeden Tag ging es einen Millimeter vorwärts." Im Gegenzug sind Unfälle, bei denen Kinder sterben nur schwer zu ertragen: "Ein zwölfjähriges Mädchen starb. Ich hatte die ganze Zeit das Bild meiner Tochter vor Augen." Für alle, die nicht im Krankenhaus arbeiten oder eingeliefert werden, hat die Intensivschwester auch noch einen Rat zum Thema Erste Hilfe: "Mein Fazit aus jahrelanger Erfahrung: Es ist immer besser überhaupt etwas zu machen. Und sei es nur, einen Anruf zu tätigen." (Julia Schilly, derStandard.at, 30. September 2011)
*Birgit Bergfeld ist ein Pseudonym.