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Ein Angehöriger der Tuarag in Festtagsgewand. Der rote Tagelmust wird nur zu hohen Feiertagen getragen. Das selbstgefärbte Gewand in Indigo ist sehr wertvoll und teuer.

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Das rituelle Teekochen hat für die Tuareg eine große Bedeutung.

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Während sich die libyschen Rebellen mit den noch verbliebenen Gaddafi-Anhängern in Sirte blutige Gefechte liefern, sitzt Muammar al Gaddafi wahrscheinlich in der Wüste, wartet ab und trinkt Tee - gemeinsam mit den Tuareg, die rituelles Teetrinken bereits seit Jahrhunderten betreiben.
Zu dem Nomadenstamm, der in der Sahara und der Sahelzone lebt, unterhält der libysche Ex-Diktator schon seit Jahren gute Beziehungen. Gerüchten zufolge dürften sich die Tuareg bei Gaddafi aktuell für die jahrelange Unterstützung bedanken, indem sie dem gestürzten Machthaber im Grenzdreieck von Libyen, Tunesien und Algerien Unterschlupf gewähren.

Die Tuareg gehören zur Gruppe der Berbervölker und begreifen sich als die Ureinwohner der Sahara. Seit Beginn der Kolonisierung Nordafrikas durch die Franzosen Ende des 19. Jahrhunderts nimmt ihre Zahl jedoch stetig ab. Durch die politischen, wirtschaftlichen und klimatischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte ist aus den einstigen „Herren der Wüste" ein verarmtes Wüstenvolk geworden, das in den unwirtlichen Gebieten der Sahara und der Sahelzone umherzieht. Immer mehr Menschen lassen sich in der Nähe von Oasen nieder und beginnen Ackerbau zu betreiben. Schätzungen zufolge leben aktuell noch etwa eine Million Nomaden der Tuareg in den Gebieten der Sahara.

Neben den erschwerten Lebensbedingungen haben die Tuareg seit der Teilung der Region in unabhängige Staaten zudem mit Ausgrenzungen und Diskriminierung zu kämpfen. Über Jahrhunderte lebten die Tuareg unter anderem vom Salzhandel und vereinzelt auch von Raubzügen in der Region. Mit der Entstehung von Nationalstaaten wurde die Rohstoffproduktion weitgehend verstaatlicht, womit den Nomaden wirtschaftliche Einnahmequellen abhandenkamen. So verlangen die Tuareg etwa eine Teilhabe an den Gewinnen des Rohstoff-Handels, vor allem bei Uran, das insbesondere in Niger abgebaut wird. Bis heute vergebens.
Forderungen nach Selbstbehauptung und Gleichbehandlung führten immer wieder zu Aufständen der Tuareg, wobei dem Wüstenvolk mit Muammar al Gaddafi stets ein finanziell potenter Unterstützer zur Seite stand.

Kein Geld - Gaddafis Söldner wenden sich ab

Gaddafi verfolgte mit seiner Hilfe jedoch primär eigene Interessen. Die staatenlosen, aufsässigen Tuareg eigneten sich hervorragend als Söldner, die für den Machthaber bereits in den 1980er Jahren im Libanon, dem Tschad oder dem Sudan um wenig Geld im Kriegseinsatz standen. Auch unter den letzten noch verbliebenen Gaddafi-Anhängern, die aktuell Sirte verteidigen, finden sich einige Tuareg, denen von der ehemaligen lybischen Führung einige tausend US-Dollar versprochen wurden.

Immer mehr Angehörige der Tuareg wenden sich nun aber von Gaddafi ab, da er seine Versprechen nicht hält und die Kämpfer den zugesagten Sold bis jetzt noch nicht erhalten haben. Erste Verhandlungen mit dem libyschen Übergangsrat laufen bereits.

Obwohl das „blaue Volk" - wie die Tuareg aufgrund ihrer indigofarbenen Kleidung häufig genannt werden - vorwiegend dem muslimischen Glauben angehört, sind die Tuareg ihren Traditionen weitgehend treu geblieben. So glaubt der Nomadenstamm, der vor allem in Mali, Niger, Burkina Faso, Libyen und Algerien beheimatet ist, an böse Geister, vor denen sie sich mit selbstgebastelten Amuletten zu schützen versuchen.

Anders als im Islam verschleiern sich nicht die Frauen sondern die Männer mit einem sogenannten Tagelmust - einem Turban, der den Kopf bedenkt und seitlich bis unter das Kinn verläuft. Damit können die Männer ihren Mund bedecken, wenn sie in der Wüste unterwegs sind oder sich in Gegenwart von Frauen befinden. Denn Körperöffnungen gelten bei den Tuareg als unrein.

Matriachalische Strukturen bei den Tuareg

Frauen tragen ebenfalls eine Kopfbedeckung, welche aber nicht zur Verschleierung des Gesichts dient, sondern vielmehr die Würde von erwachsenen Frauen ausdrücken soll. Dieses kleine äußerliche Detail verdeutlicht die matriarchalischen Strukturen, welche bei den Tuareg nach wie vor zu finden sind. Frauen wird generell großer Respekt entgegengebracht. Sie sind diejenigen, die Gäste empfangen und die traditionelle Teezeremonien überwachen. Vielen Frauen werden zudem magische Kräfte nachgesagt. Dieses unterschiedliche Frauenbild führt auch immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den Tuareg und anderen Muslimen in der Region.

Mit dem aktuellen Gast aus Libyen dürfte es zumindest in diesem Punkt keinerlei Probleme geben, denn Gaddafi setzte sich während seiner Regentschaft unter anderem für die Emanzipation der Frauen ein.

Nach alter Tradition werden einem Gast der Tuareg im Rahmen einer Teezeremonie drei Gläser Tee gereicht. Das erste schmeckt bitter wie das Leben, das zweite süß wie die Liebe und das dritte sanft wie der Tod. Hat der Gast alle drei Gläser getrunken, so steht er unter dem Schutz des Wüstenstammes. Ob der Gast aus Libyen dieses Ritual durchlaufen hat, ist nicht bekannt. Noch scheinen die Tuareg hinter Gaddafi und seiner Familie zu stehen. Sollte dem gestürzten libyschen Machthaber jedoch irgendwann das Geld ausgehen, dürften sich auch seine letzten Verbündeten von ihm verabschieden - egal, wie viel Tee Gaddafi bei den Tuareg trinkt. (elin, derStandard.at, 29. September 2011)