Graz/Innsbruck - Johann Seitinger ist gewillt, ins kalte Wasser zu springen: "Ich weiß, dass ich damit viel Kritik auf mich ziehen werde, zumal ich selbst steirischer Umweltlandesrat bin. Aber ich weiß, was ich da sage: die vielen neuen Anwälte, von den Umwelt- bis zu den Tierschutzanwälten, müssen in einem gewissen Sinne entmachtet werden", sagt der steirische ÖVP-Politiker im Gespräch mit dem Standard.
Die Bedeutung und Einspruchsmöglichkeiten von Anwaltschaften sollten auf das Niveau von Ombudsschaften ohne Parteistellung reduziert werden. "Diese fundamentale Parteistellung der Anwaltschaften mit der Möglichkeit, wichtige Infrastrukturprojekte jahrelang zu blockieren oder zu verhindern, muss einfach beseitigt werden. Wir können uns die Verzögerungen, die durch die vielen sündteuren Einsprüche entstehen, nicht mehr leisten" , findet Landesrat Seitinger: "Die Party ist leider vorbei."
Die Anwaltschaften, deren Gründung als Stärkung des Umweltgedankens gedacht war, hätten sich zu einem eigenen "Staat im Staat" entwickelt. Ein Problem, das nicht nur die Steiermark, sondern ganz Österreich beschäftige. Seitinger: "Wenn man mit Windkraft- oder Kleinwasserkraftbetreibern spricht, was die alles an an Gutachten, Expertisen von Ökologen, Biologen, Ornithologen liefern müssen, um ein 140-prozentiges Umweltsiegel zu erhalten, dann weiß man, warum sie sich zu Recht aufregen und sagen: Wenn ihr so weitermacht, werdet ihr eure Klima-, aber auch die Wirtschaftsziele nie erreichen."
"Staat im Staat"
Der "klassische Problemfall" sei die Umweltanwaltschaft, der "Inbegriff" eines neu geschaffenen Staates im Staat, der eine Parteienstellung erhalten habe, die "weit über das ursprünglich gemeinte Maß hinaus" agiere. "Es kann nicht sein, dass ein Schmetterling, ein Fisch oder ein Vogel dringend notwendige Millionen-Infrastrukturprojekte, an denen tausende Arbeitsplätze hängen, verhindern kann" , kritisiert der steirische Umweltlandesrat und sagt auch: "Es ist schon witzig, dass all die schützenswerten und in der roten Liste niedergeschriebenen Geschöpfe plötzlich zufällig dort vorzufinden sind, wo sie in den letzten 100 Jahren eigentlich gar nicht waren. Sie tauchen plötzlich auf und werden dann von Gutachtern entdeckt, wenn ein Bauprojekt geplant ist."
Eine Rückstufung der legistischen Möglichkeiten von Anwaltschaften werde nicht zwingend zu einer Schwächung der Umwelt- oder Tierschutzstandards führen.
Seitinger legt "größten Wert darauf, dass wir die höchsten Standards in der Wasserqualität halten, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen und die Umweltgesetze streng eingehalten werden und wir mit unseren Ressourcen nachhaltigst umgehen. Da bin ich hochsensibel. Aber das, was wir jetzt machen, überschreitet manchmal jedes Maß an Vernunft. Wir müssen wieder zurück zum Hausverstand."
Dieser Meinung ist auch Seitingers SPÖ-Kollege in Tirol, Umweltlandesrat Hannes Gschwentner. Mit dem Umweltanwalt sehe er kein so großes Problem, wohl auch, weil dessen Position in Tirol eine andere sein mag. Dringend anzusetzen sei aber bei den Umweltverträglichkeitsprüfungen. "UVP-Verfahren dauern viel zu lange, oft bis zu vier Jahre. Da werden Kisten voller Gutachten herangeschafft, die keiner mehr lesen kann. Das schießt übers Ziel hinaus." Auch Gschwentner plädiert für eine "Rückkehr des Hausverstandes".(Walter Müller, DER STANDARD; Printausgabe, 30.9.2011)