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Rauchen oder Nichtrauchen? Was früher nur ein Laster war, wird jetzt zum "kollektiven Problem" stilisiert

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"Raucher werden zunehmend aggressiv und sagen: 'Lasst uns doch endlich mal in Ruhe'", meint Henning Schmidt-Semisch

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Fettes Essen? Zu viel Zucker? Ein "Gesundheitswahn" führe dazu, dass Menschen das, was sie sowieso essen, mit immer schlechterem Gewissen zu sich nehmen, meint Schmidt-Semisch

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Beim Rauchen sind die Trolle los: Jedes Mal, wenn auf derStandard.at eine Geschichte zum Thema Rauchen erscheint, tummeln sich im Forum die immer gleichen UserInnen, um sich gegenseitig wüst zu beflegeln. RaucherInnen werden als "Seuche", als "hirnlose Süchtige" und "Parasiten" beschimpft, NichtraucherInnen als "Nazis", "Faschisten" und ähnliches verunglimpft. Warum rasten manche Menschen gerade bei diesem Thema dermaßen aus? Darüber hat Maria Sterkl mit dem Soziologen Henning Schmidt-Semisch von der Uni Bremen gesprochen.

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derStandard.at: Warum erhitzt das Thema Rauchen so sehr die Gemüter?

Henning Schmidt-Semisch: Die Raucher werden zunehmend empfindlich, angesichts der vielen Einschränkungen, die sie in den letzten dreißig Jahren erlebt haben. Früher war es in Sitzungen oder in Uni-Seminaren normal, dass man raucht, das wurde dann verbannt. In den Neunzigerjahren kam das Rauchen aus den öffentlichen Gebäuden raus, in den 2000er-Jahren aus den Kneipen, und jetzt wird diskutiert, ob das Rauchen in privaten Fahrzeugen verboten werden soll.

Ich glaube, dass die Raucher das zunehmend als Abwertung ihres Lebensstils, ihrer Genusspräferenzen wahrnehmen, und dass sie sehr empfindlich gegenüber staatlichen Regulierungen geworden sind - und folglich auch gegenüber etwaigen moralischen Vorhaltungen von Nichtrauchern. Rauchen ist wie Trinken oder Essen etwas sehr Persönliches, und man will sich da nichts dreinreden lassen, weder vom Staat noch von moralisierenden Personen in der Umgebung. Es geht auf der Raucherseite immer auch um Freiheit, die man ausleben möchte, um den Schutz vor staatlicher oder moralischer Dominanz.

derStandard.at: Den NichtraucherInnen wiederum geht es um den Schutz vor der Dominanz der RaucherInnen. Dem Rauch in geschlossenen Räumen können Sie sich nicht entziehen.

Schmidt-Semisch: Genau - wobei es auch hier in der Wahrnehmung eine Entwicklung gibt. Auch die Nichtraucher sind empfindlicher geworden. In den Achtzigerjahren und davor wurde Rauchen vor allem als ein Laster wahrgenommen. Als ein Laster, das gestunken hat, das Leute belästigt hat. In den Neunzigerjahren begannen die Gesundheitsargumente zu dominieren, und man nahm das Rauchen als individuelle Gefährdung wahr, durch Passivrauchen zum Beispiel.

Jetzt hingegen gibt es eine völlig andere Wahrnehmung, die zunehmend ökonomisch argumentiert wird. Man sagt: Rauchen schädigt die Gesundheit derer, die rauchen, und dadurch steigen die Gesundheitskosten. Man wirft also Rauchern vor, dass sie ökonomische Schäden in der Krankenversicherung produzieren. Sie schaden nicht mehr nur dem individuellen eigenen Körper, sondern dem Versicherungskollektiv. Die Rede über Rauchen hat also eine bestimmte Karriere in den letzten dreißig Jahren durchgemacht - vom persönlichen Laster zur Gefährdung der Gesellschaft, oder zur Gefährdung der gemeinsamen finanziellen Ressourcen.

derStandard.at: Gibt es allgemein weniger Toleranz für gesundheitsgefährdende "Laster"?

Schmidt-Semisch: Ja. Die immer wieder auftauchende Diskussion über Risikosteuern ist ein Zeichen dafür - also Steuern auf Zuckerhaltiges, auf Alkohol, auf fettes Essen. In Ungarn wurde ja gerade eine sogenannte Hamburger-Steuer eingeführt - eine Abgabe auf Cola, auf Kekse, auf Chips, also auf alles, was viel Salz, Zucker oder Fett enthält. Auch in Deutschland wird das diskutiert - bis hin zur Frage, ob man Rauchern überhaupt Lungen transplantieren soll.

derStandard.at: Sehr viele Menschen in Österreich sind alkoholsüchtig. Trotzdem steht das Rauchen bzw. das Einschränken des Rauchens viel mehr im Vordergrund als eine Einschränkung des Trinkens. Warum?

Schmidt-Semisch: Das liegt wohl daran, dass die Raucher schon immer in der Minderheit waren. Es waren immer weniger als 50 Prozent und es werden immer weniger. Im Gegensatz dazu nimmt über 90 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Alkohol zu sich. Insofern kann man hier weniger gut polarisieren. Beim Rauchen hingegen funktioniert das wunderbar - da kämpft eine Hälfte gegen die andere. Und der Alkohol belästigt nicht so.

derStandard.at: Auch übermäßiger Stress und mangelnde Erholung schaden der Gesundheit. Warum wird über Workaholics so wenig geredet?

Schmidt-Semisch: Wahrscheinlich weil es höchst funktional ist - für die Unternehmen. Das Leistungsprinzip dominiert die Gesellschaft, deshalb ist es schwierig, das zu thematisieren. Wobei es in der Wissenschaft sehr wohl thematisiert wird, aber längst nicht mit dieser moralischen Konnotation wie beim Rauchen

derStandard.at: Glauben Sie, dass sich die aggressive Polemik in der Rauch-Debatte aufs Forum beschränkt, oder kann es auch in der persönlichen Begegnung zu handgreiflichen Konflikten führen?

Schmidt-Semisch: Ich glaube das eigentlich nicht. Was man aber bei jeder Drogenproblematik bemerkt, ist, dass Leute, die Probleme mit Drogen hatten, nach der Überwindung dieser Probleme oft besonders rigide argumentieren. Sie tun das, um sich von ihrem eigenen früheren Verhaltensweisen abzusetzen. Ich glaube, dass unter diesen vielen Nichtrauchern, die sich in den Foren zu Wort melden, viele Ex-Raucher sind, die sich auf diese Art von ihren eigenen vermeintlichen Verfehlungen zu distanzieren versuchen.

derStandard.at: Sie haben sich intensiv mit dem Umgang mit Übergewichtigen beschäftigt. Gibt es hier Parallelen zum Umgang der Gesellschaft mit RaucherInnen?

Schmidt-Semisch: Ja, das ist insofern ähnlich, als das Rauchen wie auch das Dicksein zu einer Art Masterstatus wird, an den dann alles mögliche drangehängt wird. In den Foren werden Menschen, die rauchen, als hirnverbrannt, als schwach dargestellt, als Menschen, die keine Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen. Beim Dicksein funktioniert das ganz ähnlich: Übergewichtigen wird immer unterstellt, sie seien langsam, eigentlich faul, sie könnten sich beim Essen nicht beherrschen. Das sind natürlich alles Mythen - dicke Menschen essen oft deutlich regulierter als dünne Menschen, die damit kein Problem haben.

derStandard.at: Steht dahinter ein breiter gesellschaftlicher Trend, dass für menschliche Schwächen nicht mehr so viel Verständnis aufgebracht wird?

Schmidt-Semisch:  Einerseits sind wir gezwungen, uns in unserer Gesellschaft einem permanenten Casting zu unterziehen. Jeder muss sich als einzigartig darstellen. In diesem Kontext können Schwächen einen Menschen durchaus auch sympathischer und attraktiver machen - jedenfalls für einen Teil des "Publikums". Eine generelle Abwertung von Schwäche sehe ich also nicht.

Was aber diese so genannten gesundheitlichen Risikoverhaltensweisen angeht, wird schon versucht, sie als besonders problematisch darzustellen - auch unterstützt durch manche Gesundheitswissenschaftler und den ganzen Gesundheitswahn, den wir haben. Vielleicht sehen das Politik und Krankenkassen ja auch ganz gerne. Weil man auf diese Weise womöglich Beiträge leichter erhöhen kann, im Sinne von Risikozuschlägen. Und vielleicht kann manchmal der Fokus auf das individuelle Verhalten auch von strukturellen Problemen ablenken.

derStandard.at: Wie äußert sich dieser "Gesundheitswahn"?

Schmidt-Semisch: Keiner weiß genau, was Gesundheit eigentlich genau ist. Sie ist ja nicht nur die Abwesenheit von Krankheit. Es gibt vielmehr zwischen Gesundheit und Krankheit ein Kontinuum, auf dem wir uns einmal mehr links und einmal mehr rechts bewegen. Trotzdem wird Gesundheit zu einem Wert, der unglaublich wichtig wird und wichtiger als alles andere. Er wird auch in den Medien so dargestellt.

Dabei wissen wir alle, dass Gesundheit nur ein Aspekt von vielen ist, die wir in unserem Leben berücksichtigen. Wir steigen ja auch nicht ins Auto mit dem Gedanken, dass in Europa jedes Jahr 35.000 Menschen im Straßenverkehr sterben. Wir wollen mobil sein, und diese Mobilität ist uns wichtiger, als permanent über unsere Gesundheitsgefährdung im Straßenverkehr nachzudenken.

derStandard.at: Jetzt könnte man argumentieren, dass an Herzinfarkt und Lungenkrebs auch ungleich mehr Menschen sterben als an Verkehrsunfällen.

Schmidt-Semisch: Ja, aber wir werden mit Botschaften überhäuft, mit Verhaltensanleitungen über gesundes Essen, wobei ja keiner so genau weiß, was gesunde Ernährung eigentlich sein soll. Die großen Ernährungsgesellschaften haben ganz genaue Tabellen, was man essen soll, fünf Mal am Tag Obst und was weiß ich noch.

Wir verwissenschaftlichen unser Essen, weil wir permanent nur noch drüber nachdenken, ob das jetzt gesundheitsschädlich ist oder nicht. Zumindest wird das permanent von uns erwartet - was wir aber natürlich nicht können und dann auch nicht tun. Aber diese Masse an Gesundheitsbotschaften, die uns an allen Ecken begegnen, lässt Raucher vielleicht auch zunehmend aggressiv werden und sie dann sagen: Lasst uns doch endlich mal in Ruhe.

derStandard.at: Wie bewerten Sie den restriktiveren Umgang mit dem Rauchen im öffentlichen Raum?

Schmidt-Semisch: Er hat durchaus dazu geführt, dass weniger geraucht wird - am Arbeitsplatz beispielsweise. Ich finde allerdings, dass es Grenzen geben sollte. Die Freiheit des einzelnen sollte so weit respektiert werden, dass man im Zweifel auch seine Gesundheit schädigen darf. Wogegen ich absolut bin, wäre ein Verbot von Tabak. Das zeigt die Geschichte bei allen Drogen, dass diese Art der Politik nicht funktioniert, sondern das Problem nur noch größer macht, weil man die Raucher in die Illegalität drängt. Die Leidenschaft des Rauchens lässt sich durch Verbote nicht aus der Welt kriegen. (Maria Sterkl, derStandard.at, .2011)