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Willi Ruttensteiner war schon im Oktober 2005 Teamchef (0:1 England, 2:0 Nordirland). Genau sechs Jahre später coacht er in Aserbaidschan (7. 10. ) und Kasachstan (11. 10.). Der Lehrgang beginnt am Montag in Bad Tatzmannsdorf.
Standard: Ist es erstrebenswert, Teamchef für zwei Spiele zu sein?
Ruttensteiner: Es ist für mich eine große Ehre. In der Jetzt-Situation ist es überhaupt nicht mein Ziel, Teamchef zu werden. Meine Vision ist, die Arbeit als Sportdirektor, die ich vor zehn Jahren begonnen habe, fertigzumachen.
Standard: Das heißt, in ein paar Jahren denken Sie anders?
Ruttensteiner: Das kann durchaus sein. Ich habe ein Lebensprinzip. Was ich angehe, möchte ich durchziehen und zu einem Erfolg bringen. Im Jahr 2000 haben wir gesagt, wir machen ein Konzept, wir bringen den österreichischen Fußball mit der Nationalmannschaft in die Spitze. Das ist uns bisher noch nicht gelungen. Aber es dauert eben mehr als ein Jahrzehnt, Spieler auszubilden, das haben wir möglicherweise unterschätzt.
Standard: Fakt ist: Selten noch ist Österreich in einer Qualifikation so deutlich gescheitert wie diesmal. Trotzdem wird behauptet, dass die Spielergeneration stark ist. Es ist Teil Ihres Jobs, Ursachenforschung zu betreiben. Woran lag es?
Ruttensteiner: Der entscheidende Punkt war der Lehrgang Belgien und Türkei. Wir brachten eine Aufbruchstimmung zusammen, dann war das 4:4 in Belgien. Man war positiv drauf, aber es ging in die andere Richtung los, nach hinten los. Mit 0:2-Niederlagen.
Standard: Das ist keine Erklärung. War es nicht doch ein Qualitätsproblem? Auch im Betreuerstab?
Ruttensteiner: Es war in der Ära Constantini wohl zu früh. Nehmen wir das Spielerpotenzial her. Viele zählen bei den Stammvereinen nicht zur ersten Wahl. Unser größtes Talent, David Alaba, ist Bayerns zwölfter oder 13. Mann. Das ist eine Wahnsinnsleistung. Aber es spielen halt elf.
Standard: Gibt es ein Grundübel im österreichischen Fußball?
Ruttensteiner: Die Grundursache, warum wir noch nicht weiter sind, ist, dass sich der Straßenfußball in Österreich spätestens in den 1990er-Jahren aufgelöst hat. Wir hatten wunderbare Spieler wie Herzog, Polster, Schöttel oder Kühbauer, die bis 1999 die Nationalmannschaft auf Platz 18 geführt haben. Bei der Generation danach finde ich keine internationalen Spieler. Die hätten gefunden und ausgebildet werden müssen, das haben wir verpasst.
Standard: Können Akademien die Straße ersetzen?
Ruttensteiner: Nein. Wir haben den Prozess im internationalen Vergleich nicht abgeschlossen, hinken hinterher. Mattersburg und die Austria haben modernste Zentren errichtet, das freut mich. Aber es ist spät. Ein Verein wie Rapid hat noch keine Akademie.
Standard: Gehört der Kick systematisiert? Spanische Auswahlen haben von klein auf nur ein Konzept, das zieht sich bis oben durch. Bis heute weiß man nicht, welches System Österreich praktiziert.
Ruttensteiner: Ich glaube, dass wir in den Nachwuchsnationalmannschaften schon viel System drinnen haben. Wir haben eine klar formulierte Spiel- und Trainingsphilosophie, die Eckpfeiler sind festgeschrieben. Eine Spieleröffnung soll über eine breit gestellte Viererkette erfolgen, zwei bis drei zentrale Mittelfeldspieler sollen ständige Anspielstationen sein. Wir forcieren ein Flügelspiel, wir wollen Fußballer produzieren, die dribbelstark sind und über die Flanken zum Erfolg kommen.
Standard: Hat der Sportdirektor im ÖFB-Team zu wenig Macht? Der Einfluss endet vor dem A-Team.
Ruttensteiner: Absolut. Ich glaube, dass es bei der Austria gut geregelt ist. Dort ist Thomas Parits der sportverantwortliche Chef. Warum das beim ÖFB nicht möglich ist, da muss man Präsident Windtner fragen. Oft kritisieren mich Leute, wieso ich zum Team nichts sage. Ich darf nicht. In Deutschland ist es eine Frage der Zeit, bis Matthias Sammer die Gesamtverantwortung übernimmt. Aber das hat nichts mit der ureigensten Trainertätigkeit zu tun. In die Arbeit in der Kabine oder in die Aufstellung hat sich der Sportdirektor nicht einzumischen. Doch die Planung, die Linie sollte er vorgeben. Ich würde gerne mehr Fragen beantworten, die Kompetenz gehört ausgebaut.
Standard: Sie sind für die Trainerausbildung zuständig. Fakt ist, dass österreichische Coaches international überhaupt keine Rolle spielen. Peter Pacult arbeitet in der vierten deutschen Liga, Josef Hickersberger in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das ist nicht gerade großartig, oder?
Ruttensteiner: Richtig. Es ist aber erklärbar. Die Visitenkarten im Ausland sind die österreichische Nationalmannschaft, sind Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, Champions League. Die Europa League ist fast schon zu wenig. Unsere Trainer haben zwar Qualität, aber sie haben keine Bühne, um sich zu präsentieren.
Standard: Sind Trainer mittlerweile überfordert? Ralf Rangnick erkrankte an einem Burnout, er schmiss den Job bei Schalke.
Ruttensteiner: Arbeitsweise und Rahmenbedingungen haben sich geändert, das Spiel wird immer komplexer und komplizierter. Ich kenne Rangnick, es steht mir nicht zu, ihn zu kritisieren. Aber er ist einer, der am liebsten alles selber machen will. Das ist mit Stress und Aufwand verbunden. Ich glaube, die One-Man-Show hat keine Zukunft im Fußball. Es soll einen Teamchef geben, aber man braucht für die verschiedenen Bereiche Spezialisten.
Standard: Sie sagen Lehrgang, nicht Trainingslager. Worin liegt der Unterschied?
Ruttensteiner: Lehrgang soll nicht mit Oberlehrer in Verbindung gebracht werden. Aber ich möchte Inhalte vermitteln. Es sind Nationalspieler, bei denen man voraussetzen muss, dass sie die Basisprinzipien kennen und können. Dennoch ist es wichtig, eine Feinabstimmung vorzunehmen.
Standard: Die Spieler haben sich gegen die Beiziehung eines Mentalcoachs ausgesprochen. Können Sie das nachvollziehen?
Ruttensteiner: Ja. Ich bin ein Befürworter von Mentalcoaches, aber in der jetzigen Situation wäre es nicht klug. Da kommt einer, man baut Vertrauen auf, dann ist er weg. Das kann auch bei Fitnesstrainer Roger Spry so sein. Aber ich gehe davon aus, dass Spry über meine Ära hinaus bleibt.
Standard: Kann die Eingliederung von Andreas Ivanschitz ein Problem sein?
Ruttensteiner: Nein. Er gehört zu den 23 besten Spielern im Land, und er hat eine hohe soziale Kompetenz. Ivanschitz ist eine tolle Persönlichkeit, die mit Erfolg und Misserfolg gut umgeht.
Standard: Ihre Ziele für die Spiele in Aserbaidschan und Kasachstan?
Ruttensteiner: Zwei Siege, was soll man sonst sagen. Aber es wird verdammt schwierig. Dort gewinnt niemand hoch.(Christian Hackl, DER STANDARD, Printausgabe, 1./2.10.2011)