
Einer Orchestermusikerin gingen die Töne verloren: Lina Beckmann als Cellistin und Geigerin unter den Vermisstenbildern aus Fukushima.
Eine Collage von Texten zu Kunst und Demokratie von Beuys &Co.
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Gott ist längst tot (sowieso), und die Welt ist (nach Fukushima) nur mehr ein schwarzer, schlammiger Grund ohne Sonne, auf dem die Stimmen der Menschen einander nicht mehr erreichen. Die Töne sind weg, und das bedeutet in Elfriede Jelineks jüngstem, soeben von Karin Beier am Schauspiel Köln uraufgeführtem Text Kein Licht. die absolute Katastrophe.
Die 40-seitige philosophisch-schwadronierende Rede, die sich auf Schriften des französischen Literatur- und Kulturwissenschaftler René Girard (Die verkannte Stimme des Realen) und dessen anthropologische Gesellschaftstheorie bezieht, verschwindet am Schauspiel Köln eine Stunde lang in der Dunkelheit einer nur in Umrissen erkennbaren, ins Chaos gestürzten Bühne (Johannes Schütz).
Zwiesprache mit Pappnase
Diese Rede ist - wie immer bei Jelinek - Stimme und Gegenstimme, genauer: eine Zwiesprache von erster und zweiter Geige, die mit Pappnasen bewehrt die havarierte Gegend erkunden. Ihre Instrumente sind stumm geworden, die Saiten geben keine Töne mehr her. Es hilft nichts, es steht ja schon im Text: Scheinbar leitet uns ein Gespenst an. Sachiko Hara (in der Ära Bachler Schauspielerin am Burgtheater und Pollesch-Schrei-Protagonistin) schleift sich gellend durch das fahle Licht, auf der Suche nach verlorenen Menschen. Die Bilder von Vermissten klatscht sie erschrocken an die Front eines Glaskubus. Später wird man sie für die Kamera als japanisches Erdbebenopfer inszenieren - mit Kirschblüten-Deko und weinerlicher Stimme.
Die Atomreaktorkatastrophe von Fukushima im März dieses Jahres hat hiermit die erste literarische Bearbeitung erfahren. In Kein Licht. schreibt Elfriede Jelinek weiter an ihrem die Katastrophen der Gegenwart verortenden Werk. Musiker sind es hier, die ihrer Welt beraubt wurden. Sie mutmaßen über ihr Schicksal und über die fragwürdigen Umstände, die es so weit kommen ließen. Schuld sind freilich immer "die anderen" , und sie sind natürlich nirgends zu finden.
Die zerstörerische Kraft von Mensch und Technik donnert in Karin Beiers Inszenierung an die Bühnenwände, als wäre hier doch irgendwo ein Gott am Werk, der Fatum spielt. Ist ja schließlich Theater. Doch alles bleibt diffus, nicht des geringen Lichts (Jürgen Kapitein) wegen. Karin Beier versucht die Sätze mit angehefteten Stimmungen (clownhafte Gesten) oder auch bloßen rhythmischen Setzungen (Vorlesen am Redepult) zu ordnen und aufzuschließen, das gelingt nur teilweise. Vieles bleibt ungehört oder unverstanden - ohne klare Bezugspunkte. Umso knalliger ist Jelineks Kalauerkunst zum Super-GAU ("Du solltest mal an deiner Ausstrahlung arbeiten" ).
Theoretisches, Praktisches
Das vielgepriesene "Theater des Jahres 2011" (Schauspiel Köln) hat aber doch etwas richtig gemacht. Karin Beier bettet Jelineks japanische Orchester-Splittertruppe nämlich auf einem Fundament, einem anderen Stück, das in dramaturgischer Schwerstarbeit aus Texten von drei Dutzend Autoren zusammengestellt wurde (Dramaturgie: Rita Thiele).
Demokratie in Abendstunden enthält Theoretisches und Praktisches zu den Themen Demokratie und Kunst. Von John Cage über Rainald Goetz, Oskar Negt oder Stéphane Hessel (Empört euch) bis hin zum kurzen Dada-Manifest von Richard Huelsenbeck "Wir wollen die Kunst mit nichts ändern" . Und all das vorgetragen und ausgelebt von einem Orchester, Untertitel: Eine Kakophonie.
Und erst dieser vorangestellte Zweistünder mit Slapstick und Actionpainting eröffnet eine gute Sicht auf das Jelinek-Stück und sein Volk. Es wird jenes Orchester vorgestellt, das später im Jelinek-Teil zerborsten sein wird. Der Zerfall eines als (Erden-)Volk versinnbildlichten Orchesters beginnt schon im ersten Teil: "Wir sind nicht mehr beisammen!" , schreit eine Musikerin (Kathrin Welisch) panisch dem Dirigenten zu. Sie bleibt ungehört.
Doch alles begann heiter: Die Orchestermusiker hatten als kleines Völkchen und ausgestattet mit sämtlichem revolutionären Wissen, ein wenig mieselsüchtig wegen der bevorstehenden Probe, die Plätze bezogen (es gibt nicht genug für alle!); ein abgeklärter Hausmeister (Michael Wittenborn: "Oh, Revolution ante portas!" ) hatte die Stühle bereitgestellt. Sie proben mit ihrem diktatorischen Dirigenten ("Was forte ist, bestimme ich" ) nicht nur ein Musikstück von Jörg Gollasch, sondern auch die Grenzen der Demokratie ("Macht kaputt, was euch kaputt macht!" ).
Sie exerzieren politische Theorien, proben samt ihren Instrumenten den Aufstand, kämpfen gegeneinander (Sousafon versus Trompete) - und finden nicht mehr zueinander. Ein guter Spiegel für Jelineks Kein Licht.. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD - Printausgabe, 1./2. Oktober 2011)