Mailand – Mailands Designer haben für Frühjahr/Sommer 2012 den Sexappeal wiederentdeckt. Am temperamentvollsten zeigen dies Domenico Dolce & Stefano Gabbana, die saftige Riesentomaten, fettglänzende Auberginen und Osterglocken zwischen Zwiebeln auf schwingende Korsagenkleider im Stil der Fünfzigerjahre drucken.

Dazu singt Sophia Loren ihren Fifties-Hit Mambo Italiano in Endlosschleife vom Band, und Juwelen, so groß und dicht wie die vielen bunten Lichter des Kirmeshimmels überm Defilee, funkeln dazu auf hautfarbenen Spitzenkleidern um die Wette. Und völlig verzückt sitzt Hollywood-Star Scarlett Johansson in der ersten Reihe mit tizianroten Locken und goldenen Glitzerpumps zum kurvigen Sirenenkleid – wie die Inkarnation von Marilyn Monroe!

Flächendeckend goldene Nieten

Kurven effektvoll in Szene zu setzen ist auch eine Spezialität des Hauses Versace. Donatella erinnert sich dafür der Achtzigerjahre und streut flächendeckend goldene Nieten über die Stoffe, wenn sie nicht Nixen, Seesterne und Muscheln auf pastellfarbene Miami-Drucke pinselt. Nur ihre perfekten Schnitte mit den grafisch platzierten Plisseepartien verhindern, dass das Ganze ins Kitschige abgleitet, was angesichts von Donatellas Barbiepuppenriege, mit Heidi Klum als Stargast, gar nicht so einfach ist.

Sogar Raf Simons kann sich für Jil Sander nicht ganz dem Sirenengesang entziehen. Die International Herald Tribune setzte das Gerücht in die Welt, dass der Designer zu Yves Saint Laurent wechseln soll. Noch aber werkt er für Jil Sander: Als Inspiration erinnert er sich diesmal an Kim Novaks lianenschlankes Kostüm im Hitchcock-Klassiker Vertigo aus den Fünfzigerjahren und bringt es mit weißen Hemden zusammen als Quintessenz der Sander-Mode.

Das Ergebnis sind makellose Krankenschwesteruniformen in Wadenlängen und auf den Körper modellierte Kostümfutterale mit naiven Paisleymustern in Buntstiftfarben. Strassclipse lenken zusätzlich den Blick auf Taillen. Topfhüte mit Schleiernetzen ironisieren, Brautkleider im Hemdblusenschnitt überraschen.

Unikate bei Bottega Veneta

Doch modern, im eigentlichen Sinne des Wortes, ist all dies trotzdem nicht. Aber Mode, die ohne einen Blick zurück auf vergangene Jahrzehnte auskommt, gibt es auch in Mailand, bei Bottega Veneta etwa. Dort behandelt der Schwarzwälder Tomas Maier mit schwäbischer Gründlichkeit jedes Modell wie ein Unikat und lässt es collagenähnlich aus ungewöhnlichen Materialkombinationen entstehen. "Ich möchte Kleider entwerfen, die Freiheit vermitteln und den Geist fliegen lassen", sagt der Designer nach der Schau: "Kleider, die nicht so leicht einzuordnen sind!" (Peter Bäldle/DER STANDARD/Printausgabe/01.10.2011)