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Amanda Knox am letzten Verhandlungstag in Perugia: Am Montag entscheidet das Gericht, ob sie im Gefängnis bleiben muss.

Foto: REUTERS/Alessandro Bianchi

Wie auch immer der Mordprozess von Perugia endet - eines steht schon vor dem Urteil fest: Was sich am Allerseelentag 2007 in der Wohnung der Studentinnen Meredith Kercher und Amanda Knox in der Via della Pergola in Perugia abspielte, bleibt im Dunkeln.

Sicher ist nur: Der Kleindealer Rudi Guede hielt sich zum Zeitpunkt der Tat in der Wohnung auf. Er will einen Schrei gehört und die 22-jährige Britin Meredith Kercher erstochen in ihrem Zimmer gefunden haben. Angesichts der vielen DNA-Spuren hat sich der Afrikaner auf ein verkürztes Verfahren eingelassen, das ihm 16 Jahre Haft einbrachte. Der Rest entspringt der mitunter blühenden Fantasie von Staatsanwälten und Medien.

Nach Darstellung der Anklage wollten Rudi Guede, Amanda Knox und ihr Freund Raffaele Sollecito unter Einfluss von Drogen und Alkohol Meredith zu Sexspielen zwingen. Guede versuchte, sie zu vergewaltigen. Dann hielten die Männer sie fest, während Knox ihr ein Messer in den Hals stach. Einziger, dürftiger Beweis: ein unscharfes DNA-Profil an einem Küchenmesser und an einem BH-Verschluss.

Das hatte nach elf Monaten Prozess zur Verurteilung zu 25 und 26 Jahren Gefängnis gereicht. Dann der Paukenschlag im Berufungsverfahren: Zwei vom Gericht beauftragte Genetiker demontierten das DNA-Profil als "verunreinigt und unbrauchbar". Videos beweisen Nachlässigkeiten bei der Spurensicherung. Knox und Sollecito verfügen über kein Alibi, ihre Aussagen sind keineswegs frei von Widersprüchen. Der Mord ohne erkennbares Motiv, ohne Tatwaffe, ohne Geständnis und mit dürftigen Indizien stimuliert morbide Neugier.

Zeitungen machen die Studentin aus Seattle zum "Engel mit den Eisaugen", zum durchtriebenen Luder "foxy knoxy", zur Ikone mit dem Madonnengesicht. Knox sei nicht Leopold Sacher-Masochs "Venus im Pelz", rückt die prominente Anwältin Giulia Bongiorno das Bild der Angeklagten zurecht. Sie beschuldigt die Anklage, "gewaltsam in ein Puzzle zu pressen, was nicht zusammenpasst".

Die Staatsanwälte tragen dick auf. Sie fordern wie schon im ersten Verfahren lebenslänglich und appellieren theatralisch an die Geschworenen, sich als Eltern der Ermordeten zu fühlen. Das neue DNA-Gutachten werten sie als "peinlich", einen Obdachlosen im Zeugenstand als "äußerst vertrauenswürdig und glaubhaft".

"Die offenen Augen der Toten werden mich zeitlebens verfolgen", so Staatsanwalt Giuliano Mignini. Auch Kerchers Verteidiger zeigen sich wenig zimperlich. Ohne Räumung des Gerichtssaals zeigen sie ein Video, das auf allen Details der blutüberströmten Leiche verharrt. Sogar die eigene Forderung nach "lebenslänglich" scheint den Anklägern zu dürftig, Amanda Knox müsse zusätzlich ein halbes Jahr in Isolierhaft. "Eine gigantische und unumstößliche Indizienkette" belaste das teuflische Paar, so Staatsanwältin Manuela Comodi in ihrem Plädoyer. Während sie spricht, vergräbt Amanda Knox ihr blasses Gesicht in beiden Händen.

Sollecitos Anwalt Luca Maori bleibt unbeeindruckt vom verbalen Sperrfeuer der Staatsanwälte: "Die vermeintlichen Beweise sind hingeschmolzen wie Schnee im Licht der Sonne." Auch Knox' Anwalt Carlo della Vedova sieht zur Zurückhaltung keinen Grund: "Dieses unschuldige Mädchen wurde öffentlich gekreuzigt."

Auf die Geschworenen warten am Montag quälende Stunden des Zweifels. Ihnen geht die Gewissheit der Staatsanwälte und der Verteidiger ab. Und die Überzeugung jener, die in Free-Amanda-Shirts durch Perugia flanieren. (Gerhard Mumelter aus Rom/DER STANDARD, Printausgabe, 1./2. Oktober 2011)