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Den Mund weit aufgerissen, fühlen sich viele Menschen dem Zahnarzt ausgeliefert.

Foto: APA/Georg Hochmuth

Bekommen eingesperrte Ratten und Hunde einen Elektroschock verpasst, dann reagieren sie panisch. Können sie weglaufen, dann sind sie weniger gestresst. Bei Menschen ist das nicht anders: „Allein das Wissen, dass die Möglichkeit eine negative Situation zu verändern existiert, macht die Situation bereits weniger schlimm", meint Anne Schienle, klinische Psychologin und Neurowissenschafterin an der Uni Graz. Selbstbestimmung ist für Menschen wie Tiere wichtig. Fehlt diese, fühlen sie sich bedroht. 

Die Situation beim Zahnarzt ist vergleichbar mit der im Käfig: Sie ist unkontrollierbar. Auf dem Zahnarztstuhl sitzen, Mund weit aufreißen und dabei beobachten, wie ein Arzt den Bohrer zückt und die Assistentin den Sauger aufdreht, bringt viele Menschen ins Schwitzen. Ein einziger Gedanke beherrscht diese unentrinnbare Lage: Wann ist es endlich vorbei? 

Jeder fünfte Österreicher bekommt Schweißausbrüche und Herzklopfen in der zahnärztlichen Praxis und hat diese Symptome negativen Erlebnissen in der Kindheit zu verdanken. „Das kann von gezogenen Zähnen, Plomben und Behandlungen ohne Spritzen, bis hin zu einem Festhalten am Zahnbehandlungsstuhl reichen", so Schienle. Manchmal geben Eltern ihre Angst auch ungewollt an ihre Kinder weiter. Gut gemeinte Äußerungen wie „Es tut nicht weh" schüren nur Panik.

Von der Angst zur Phobie

Einige Zahnärzte haben sich deshalb bereits auf Angstpatienten spezialisiert, bieten ausführliche Gespräche an, spielen Musik im Hintergrund und benutzen leise Bohrer. Andere setzen auf Prävention, laden Schulklassen ein und zeigen den Kindern die Praxisräume und Instrumente. 

Wird der Zahnarztbesuch ganz aus dem Kalender gestrichen, dann spricht man von einer Zahnbehandlungsphobie - vier Prozent leiden unter diesem unkontrollierbaren Phänomen und nehmen sogar schmerzhafte Löcher in den Zähnen in Kauf. 

„Berufliche Schwierigkeiten können für Patienten der Anstoß sein, dass sie sich therapieren lassen", erklärt Schienle, wie das optische Erscheinungsbild zum Problem werden kann. Manchmal sind es scheinbar andere Erkrankungen, die den Weg zum Zahnarzt nicht länger ersparen, denn kranke Zahnherde können streuen und in anderen Körperregionen zu Entzündungen führen.

Konfrontation mit der Angst

Hilfe gegen die Phobie verspricht eine Verhaltenstherapie. Der Patient tastet sich über die Betrachtung von Bildern und das Begreifen der Instrumente langsam an die tatsächliche Behandlung heran. Parallel dazu erlernen die Patienten eine Entspannungstechnik, wie das autogene Training.

Gerade diese Konfrontation mit der Angstsituation wird von Männer und Frauen unterschiedlich verarbeitet. Eine von Anne Schienle durchgeführte Untersuchung mittels EEG hat ergeben, dass bei Frauen, die mehr zum Vermeiden und Aufgeben neigen, die Aktivierung im vorderen Bereich des Gehirns weniger ausgeprägt ist als bei Männern, die ihre Aufmerksamkeit eher auf die Schmerzen lenken. Kurzfristig ist eine Ablenkung zwar wirksam, langfristig eine fokussierte Aufmerksamkeit, zu der Männer schneller tendieren, aber erfolgversprechender. 

„Sind die Patienten soweit, ist eine Zahnreinigung der erste konkrete Schritt", erklärt Schienle den weiteren Behandlungsverlauf. Um die Kontrolle wieder zu erlangen, lernen die Betroffenen ihre Ängste mitzuteilen, damit der behandelnde Arzt auch darauf eingehen kann. Fühlt sich ein Patient beispielsweise unwohl, dann kann er den Zahnarzt mit Handzeichen darauf aufmerksam machen. Dadurch kann der Betroffene die Situation selber beeinflussen, und allein diese Möglichkeit hilft ihm, den Arzt nicht mehr als Bedrohung zu sehen. (derStandard.at, 03.10.2011)