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Ein gedeihliches Klima schaffen - nicht nur für den Chef, sondern für Kunden, Mitarbeiter und alle anderen, das wollen die Gemeinwohlbilanzierer.

Foto: AP/Hiekel

Seit einem halben Jahrhundert zieht sich der Satz "der Betrieb im marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem kennt nur ein Ziel, nämlich die langfristige Gewinnmaximierung" durch die Lehrbücher für Betriebswirtschaftslehre. Nobelpreisträger Milton Friedman argumentierte, Unternehmen hätten gar keine andere Wahl, als ihre Gewinne stets so hoch wie möglich zu treiben - sonst würden sie rasch von profitableren Wettbewerbern gefressen oder verdrängt. In der Realität wird dieser lehrbuchmäßig ökonomische Idealzustand laut zeitgemäßen Forschungsergebnissen ohnedies oft nicht erreicht, das Diktum scheint allerdings auch für viele Unternehmer reif für eine zeitgemäße Adaption.

Die reine Lehre der Gewinnmaximierung gilt nicht mehr nur unter Moralaposteln als der Ursprung allen Übels, das wieder einmal die Wirtschaftswelt erschüttert. Haltlose Bankerboni trotz nicht verdauter Lasten aus verantwortungslosen Geschäften, Skandale, die sich mangelnder Moral und der Gier einzelner Manager verdanken, Produkte, die ohne Rücksicht auf Verluste hergestellt und konsumiert werden, schüren zunehmend den hehren Wunsch nach Moralisierung von Markt und Ökonomie. Theoretisch ist da auch schon allerhand im Gange. Praktisch alle großen Unternehmen, darunter auch Banken, deklarieren sich auf ihren Websites als rundherum verantwortungsvoll. Mag auch viel PR hinter den einladenden Slogans stecken, über kurz oder lang werden die Konsumenten auch die guten Taten einfordern. Der Ethikwettbewerb hat in Ansätzen bereits begonnen.

Nicht nur Rendite und Zinsertrag

Auch die Unternehmen, die sich nicht mit schönen Worten begnügen, werden mehr und professioneller. Wer sich auf die Suche nach Handlungsanweisungen begibt, wird in der Theorie der Gemeinwohlökonomie fündig. Und er kann sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen und anhand von 18 Kriterien, die der österreichische Attac-Gründer Christian Felber gemeinsam mit einer Reihe von Unternehmern definiert hat, sein Tun als Unternehmen quasi transparent machen. Was er zu beachten hat, ist so einfach wie kompliziert, muss er doch auch soziale und ökologische Aspekte in den Jahresbericht mit einbeziehen. Wer nach diesen Regeln vorgeht, veröffentlicht in seiner Jahresbilanz neben oder zu Finanzkennzahlen wie Rendite oder Zinsertrag, Informationen darüber, wie groß die Lohnunterschiede innerhalb des Betriebes ausfallen, ob die eigenen Produkte die Umwelt belasten und wie viel die Mitarbeiter wobei mitbestimmen dürfen. Interessierte können nachlesen, ob sich die Mitarbeiter wohlfühlen, wie groß die Gehaltsunterschiede zwischen Vorstand und einfachem Angestellten sind und ob die Firma mit ihren Geschäften die Umwelt schädigt.

Die so genannte Gemeinwohl-Bilanz misst - in den Worten ihrer Erfinder - soziale Verantwortung, ökologische Nachhaltigkeit, demokratische Mitbestimmung und gesamtgesellschaftliche Solidarität. Im Fokus des Zahlenwerks steht also die Steigerung des Gemeinwohls und nicht wie sonst üblich die Gewinn-Maximierung. Dass sich die Interessenten keineswegs nur aus dem Öko-Eck rekrutieren, zeigt ein Blick auf die Anwärterliste. In Österreich setzen neben Biomasseheizspezialisten wie KWB und Biopionieren wie Sonnentor und Adamah, mittlerweile auch durchaus "gestandene" Unternehmer auf den alternativen Blick auf das Geschäftsgebaren.

Messbar mit dem richtigen Instrumentarium

Paul Ettl zum Beispiel ist seit 30 Jahren im Software-Geschäft. Neuerdings verfasst er sein Zahlenwerk unter Einsatz der Gemeinwohl-Matrix. Warum? "Eigentlich habe ich mich schon immer geärgert, dass ein Software-Update auf der Aktiv-Seite der Bilanz erscheint, wenn ich einen Mitarbeiter auf Schuldung schicke, schmälert das aber als Aufwand den Geschäftserfolg." Ettl war bei der Definition der Kriterien dabei. Der Linzer ist sich sicher, dass der Blick aufs Gesamte in unternehmergeführten Firmen ohnedies an der Tagesordnung steht. Immer schon. Mit der Gemeinwohlbilanz würde dem Unternehmer aber das erste Mal ein Instrumentarium in die Hand gegeben, um diese Faktoren auch zu messen: "Klar ist, dass sich Menschlichkeit und Rentabilität nicht ausschließen, ganz im Gegenteil", sagt Ettl im Gespräch mit derStandard.at. Dieser Tage legt er die erste Bilanz nach den neuen Regeln vor. Langfristig - so die Idee der Erfinder - soll eine solche Bilanz Voraussetzung sein, an einer Ausschreibung teilnehmen zu können. Die Bewertung von "menschlichen Faktoren", so die Hoffnung, soll sich ganz konkret und nicht nur auf Umwegen, positiv niederschlagen.

Brechen mit der Tradition

Ein Faktor, der es möglich macht, dass sich zum Kreis der "Erleuchteten" auch eine Bank gesellen kann. Dieser Tage legt der Chef der Münchener Sparda Bank ebenfalls eine Jahresbilanz vor, in der Kennzahlen wie Zinsertrag, Eigenkapitalrendite und Dividende nicht vorkommen. Die ehemalige Eisenbahner-Bank, die heute auf knapp 670 Mitarbeiter und 240.000 Mitglieder angewachsen ist, ist der größte von Dutzenden selbst ernannten Pionieren, die im Herbst zum ersten Mal, ergänzend zu ihrer Finanzbilanz, eine Gemeinwohlbilanz veröffentlichen werden. Auf der Habenseite steht dann, was das Unternehmen für Mitarbeiter, Kunden und die Gesellschaft leistet.

Vorstandsvorsitzender Helmut Lind wird begleitet vom Ruf, ein effizienter Optimierer zu sein. Seit 2006 sitzt er im Chefsessel der größten bayerischen Genossenschaftsbank. Deutschen Medien gilt er als der Banker, der mit all dem brechen wird, was den Erfolg einer Bank bislang ausmachte. Lind ist dabei, sein Institut - das für das zurückliegende Geschäftsjahr eine Dividende von 5,5 Prozent (rund 3,3 Millionen Euro) an seine Mitglieder ausschütten wird - grundlegend zu verändern. Die Gemeinwohlbilanz ist Zeugnis dafür. (Regina Bruckner, derStandard.at, 6.10.2011)