Jörg Immendorff gefangen vom Skelett des Todes: Ein Künstler, der die Kontrolle über seine Kunst in den letzten Lebensjahren an seine Assistenten abgeben musste.

Foto: © The Estate of Jörg Immendorff, Courtesy Galerie Michael Werner Märkisch Wilmersdorf, Köln & New York / Mischa Nawrata, Wien

Klosterneuburg - Den Moment, in dem Schönheit aufhöre und Vergänglichkeit beginne, werde man schwer ausmachen können, schreibt Alexander Urosevic in Eine Reise mit Jannis Kounellis. Und er fragt: "Muss man schön gewesen sein, um schön vergehen zu können?"

Urosevics Text ist eines von siebzehn literarischen Erzeugnissen, die die Ausstellung Schönheit und Vergänglichkeit in der Sammlung Essl begleiten. Und seine Frage umreißt recht genau, wie das mit dem Schönen und der Vanitas in der Schau gemeint ist: Die Schönheit liegt im Einfachen, in dem, was vergeht; sie findet sich in der Ästhetik des Materials und im Umgangs mit diesem.

In Jannis Kounellis' auf den Raum und die Umgebung der Sammlung Essl reagierender Installation wird das offensichtlich: Der raumhohe Stahlträger gleicht einem Schiffsmast, an dem die morbiden Reste einer Donauzille verzurrt sind. Würdevoll ragt er in die Höhe und verweist zusammen mit den hinter ihm lagernden Jutesäcken auf eine lange, poetische Geschichte von Wasserwegen, Waren und Reisen.

Oder das Tagebuch von Antonio Tàpies (Dietari I-V, 2002): Fünf große Bildtafeln thematisieren Elementares wie Schlafen, Essen und Verdauen. In der Verrichtung alltäglichster Dinge kann man sich des Lebens vergewissern. Man ist. Noch. Anders als jener, der die Fußspuren im Erd-Sand-Gemisch hinterlassen hat. Diese zeugen von einer Existenz, die das Bild passiert hat - die gegangen ist.

Kann Vergehendes schön sein? Verwitternde Farbe auf Holz, bröckelnde, zugerankte Mauern, Ruinen? Den Reiz des Zerfalls nennt man oft romantisch, malerisch, er ist aber im Grunde eine Faszination am Sterbenden. Das Vanitas-Thema ist in der Ausstellung ziemlich dominant; es findet sich auch in so lebensbejahenden Werken wie Daniel Spoerris Speisetafeldokumenten, den Fallenbildern.

Umso irritierender - zunächst einmal - der Exkurs zu Schönheitsidealen, den Kurator Andreas Hoffer zum Auftakt unternimmt. Er zeigt Marc Quinns Marmorskulpturen der körperlich stark beeinträchtigen Alison Lapper. "Die Stadt ist voll von solchen wie mir. Sie bekommen Geschenke von den Männern. Vollkommenheit gilt als Sünde", lässt Rabea Edel ihre Protagonistin in Nach Parlanam sagen.

Marc Quinn sei in der Tat ein Seitenstatement, gesteht Andreas Hoffer. Mit Schönheit und Vergänglichkeit kann er nicht verhehlen, dass er aus der Kunstvermittlung kommt. Vor den Arbeiten Quinns entstünden immer angeregte Diskussionen, sagt er. Wenn man Kinder fragt, was schön sei, würden sie das niemals an Äußerlichkeiten, sondern sehr stark an Immateriellem, Aufgeladenem festmachen.

Kampf der Zeit

Auch im reduzierten Umfang (gezeigt werden in Klosterneuburg bloß 15 Arbeiten von sechs Künstlern) zeigt sich, dass so Zeit und Raum gewonnen werden soll. Ein Gedankenraum für das Nachdenken über Wesentliches.

Der Schwerpunkt liegt auf den Reflexionen der Schriftsteller, bis auf Manfred Chobot allesamt junge Autoren. Erwin Uhrmann etwa lässt Schüler Immendorff im Physik-Unterricht sagen: "Ich nehme an, das bedeutet, dass die Zeit nicht bloß vergeht, sondern sich einfach nur Zustände ändern". Das erinnert an das Fließen und Züngeln in den letzten Bildern Jörg Immendorffs, der an einer tödlichen Nervenkrankheit litt, etwa Kampf der Zeit.

"In die dunklen Augenhöhlen setze ich ein Leben, das nicht mehr erkennbar zu sein scheint", schreibt Alexander Peer über die sich verflüchtigenden Schattenwesen in Zoran Musiæs Gemälden. "Wie ich mich nicht und nicht diesem Einanderansehen entziehen kann." Literatur und Kunst, ein tatsächlich fruchtbarer, kontemplativer Dialog. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe 5.10 2011)