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Indiana Jones alias Harrison Ford als Jäger des verlorenen Schatzes. Im Film sucht Jones die sagen- umwobene Bundeslade. In der Realität geht es um mehr: Rund 1,2 Billionen Euro werden jedes Jahr an Steuerbehörden vorbei über Grenzen verschoben.

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Grafik: DER STANDARD

Das Tax Justice Network hat eine Liste mit den größten Steueroasen erstellt.

John Christensen kennt sie alle, die großen Steuersünder. Der grauhaarige Brite hat mit ihnen fein gegessen und über Finanzpolitik parliert. Er hat zugesehen, wie die Banken HSBC, Barclays und Citibank Milliarden verschoben haben. Er hat sogar für die Steuerhinterzieher gearbeitet: In den 90er-Jahren war er Wirtschaftsberater in Jersey.

Die Kanalinsel zählt zu den größten schwarzen Löchern auf den Karten von Steuerfahndern. Bis zu 500 Milliarden Dollar (375 Mrd. Euro) sollen derzeit in Jersey auf Konten liegen, um unversteuert verschoben zu werden. Ziel des Geldes sind zumeist große Finanzplätze wie London. Worüber sich Christensen heute noch wundert: "Kein Mensch auf Jersey hat sich je Gedanken darüber gemacht, dass diese Steuerhinterziehung andere Länder ruiniert."

Christensen hat inzwischen die Seiten gewechselt. Unter seiner Leitung hat das Tax Justice Network, eine lose Gruppe von Nichtregierungsorganisationen, am Dienstag den zweiten Bericht über weltweite Steuerhinterziehung vorgelegt. Näher angesehen hat sich das Netzwerk 73 Staaten. Herausgekommen ist ein "Schattenfinanzindex", in dem die Länder nach dem Grad der Geheimhaltung und ihrem Anteil am Weltmarkt gereiht werden. Klare Nummer eins unter den Steueroasen ist dank ihres Bankgeheimnisses die Schweiz. Österreich belegt ebenfalls dank seines Bankgeheimnisses – vor den Bahamas und hinter den Marshall Islands – Platz 17. Die Hälfte der 20 größten Steueroasen sind EU-Mitglieder oder von einem Mitglied abhängige Gebiete.

Das Netzwerk übt vor allem an der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) scharfe Kritik. Die OECD hat 2009, am Höhepunkt der Krise, eine aufsehenerregende Initiative gestartet: Auf Druck der G-20-Länder erstellte sie eine schwarze und – in weniger schlimmen Fällen – eine graue Liste unkooperativer Steueroasen. Wer von der Liste wollte, musste mindestens zwölf spezielle Abkommen über den Austausch von Steuerinformationen unterzeichnen. Seit 2009 wurden 600 solcher Verträge unterschrieben. Inzwischen stehen alle Staaten, darunter auch Österreich, auf der weißen Liste. International gaben sich alle zufrieden – die Kritik an den Oasen verstummte.

Doch die ganze Übung sei "von erschreckender Wirkungslosigkeit" gewesen, meint Christensen. Die OECD wollte mit den Verträgen die gegenseitige Abfrage von Steuerbehörden erleichtern. Ein Verdachtsfall, und nicht erst konkrete Ermittlungen, sollte genügen, um Informationspflichten der Staaten auszulösen. "Doch diese Anforderung ist immer noch viel zu hoch: Meistens gelangt ein Land gar nicht an genügend Informationen für einen Verdachtsfall. Die Zahl der tatsächlich gestellten Anfragen sind minimal."

Steueroasen helfen sich selbst

Bei der OECD in Paris widerspricht man dieser Darstellung nur teilweise. Tatsächlich gibt es nicht sehr viele Anfragen, deutet der oberste Steuerfachmann der Organisation, Jeffrey Owens, an. "Aber die Initiative hat eine gewaltige Präventivwirkung entfaltet. Viele Steuersünder wissen, dass sie nicht unbehelligt bleiben werden." Laut Owens nimmt allein Deutschland seit dem Start der Initiative 2009 vier Milliarden Euro pro Jahr mehr an Steuern ein.

Er sieht zwei Schwächen im neuen System: Nicht selten hätten zwei Steueroasen wie etwa Panama und Monaco einfach gegenseitig Abkommen über den Info-Austausch unterzeichnet, um sich reinzuwachsen. Zudem profitierten Entwicklungsländer kaum von den bisherigen Initiativen. Nach Schätzungen entgehen derzeit Entwicklungsländern 190 Milliarden Euro jährlich an Steuereinnahmen. Tax Justice fordert daher einen automatischen Austausch von Steuerinfos – und nicht erst auf Abfrage. Ansatzweise gibt es so ein System bereits in der EU – nur Österreich und Luxemburg verweigern sich, was Wien regelmäßig Kritik einbringt.

In einem Punkt sind sich Tax Justice Network und das Finanzministerium in Wien einig: Global gesehen werden die meisten illegalen Finanzströme über spezielle Investmentvehikel (Trusts) gelenkt. Das Bankgeheimnis sei gegenüber solchen besonders auf den britischen Inseln und in den USA beliebten Konstruktionen, bei dem der wahre Eigentümer von Geldströmen verschleiert wird, das kleinere Problem. "Dieses Thema wird international und in der OECD kaum aufgegriffen. Da gibt es dann seitenlange Berichte über die USA, in denen das Wort Trust kaum einmal vorkommt", sagt Ministeriumssprecher Harald Waiglein. (András Szigetvari, DER STANDARD, Printausgabe, 5.10.2011)