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Doron Rabinovici, geb. 1961 in Tel Aviv, Schriftsteller, Historiker und Essayist, lebt in Wien. Zuletzt erschien von ihm der Roman "Andernorts".

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Sind Befürworter einer Teilung des Heiligen Landes Betreiber eines "judenfreien Apartheidstaates", wie dies Premier Netanjahu in seiner UN-Rede zu verstehen gab und Ariel Muzicant kurz darauf auch schriftlich kundtat?

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Der zukünftige palästinensische Staat, so Benjamin Netanjahu vor der Uno, werde keine Juden dulden. Palästinensische Vertreter hätten das erklärt. Ebenda in New York. Der Staat werde "judenrein" sein. "Judenrein". Netanjahu verwendete das deutsche Wort in seiner englischen Ansprache, mit der er den Antrag auf Anerkennung Palästinas ablehnte. Ethnische Säuberung sei das, betonte Netanjahu.

Wer die Geschichte der nazistischen Massenvernichtung erforscht, mag nicht glauben, zu welchen Vergleichen sich der Premier des jüdischen Staates zu versteigen wagte. Als Jude in Wien weiß ich, was mit diesem Wort letztlich umschrieben wurde, und welche Ungeheuerlichkeit solche Assoziationen darstellen.

Indes wurde Netanjahus Relativierung sogleich übernommen, und wie ein Lauffeuer machte die Gleichsetzung von Gebietsrückgabe mit Judenvernichtung die Runde. Selbst in Österreich fand dieser geistige Kurzschluss zwischen Siedlungspolitik und Auschwitz seine Nachahmer. Ariel Muzicant, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, verlautbarte in einer Aussendung, jene österreichischen Parteien, die eine Anerkennung Palästinas unterstützten, würden für einen rassistischen, judenreinen Apartheidstaat eintreten.

Extremistische Diktion

Weiß Muzicant denn nicht, wovon er spricht? Was er sagt, will nicht so recht zu ihm passen und erinnert eher an die extremistische Diktion israelischer Rechtspopulisten. Er selbst tritt doch seit Jahren für die Erinnerung und gegen die Relativierung nazistischer Verbrechen auf. "Judenrein" meinte die rassistische Verfolgung, Vertreibung und letztlich die Vernichtung von Menschen. Der Begriff wurde zum Euphemismus, der verhüllte und verhöhnte zugleich. Ihm wohnte die Vorstellung inne, die "verjudete" deutsche Volksgemeinschaft müsse gereinigt werden.

Wie kann bloß das Ende der Besatzung und der israelischen Siedlungspolitik mit dem Vokabular der Shoah bedacht werden? Die Räumung der besetzten Gebiete verbindet nichts mit dem, was in Wien nach dem sogenannten Anschluss geschah.

Netanjahu bezog sich wohl auf Äußerungen von Maen Rashid Areikat, des Vertreters der PLO in New York, der auf die Frage, ob die israelischen Siedlungen in einem Staat Palästina weiterbestehen könnten, antwortete, nach 44 Jahren militärischer Besetzung, denke er, es wäre im besten Sinne beider Völker, getrennt zu leben. Als er indes nach Netanjahus Ansprache auf diesen Punkt angesprochen wurde, stellte er klar, er sehe den Konflikt nicht als religiöse Auseinandersetzung, weshalb er nie gemeint habe, kein Jude werde je in Palästina leben dürfen.

Kurz und gut: Es mag unterschiedliche Aussagen palästinensischer Vertreter geben, doch nichts rechtfertigt, die palästinensische Forderung nach Abbau der Siedlungen mit der nazistischen Politik zu vergleichen. Der Krieg beider Völker um das eine Land unterscheidet sich ebenso von der Apartheid. Just die zionistische Seite sollte dies nur allzu gut wissen. Abbas sprach etwa in seiner Rede vor der UN vom palästinensischen Kampf gegen die Apartheid.

Die Apartheid gründete nicht auf einem nationalen Kampf um einen Staat, sondern auf einer Ideologie von Herrenmenschen. Jeder sexuelle Kontakt zwischen Weißen und Schwarzen war unter Strafe gestellt. Mit dem berüchtigten Test, ob ein Bleistift im Haar stecken bleibt oder hinunterfällt, legten Bürokraten fest, wer als schwarz und wer als farbig gelten solle. Apartheid bedeutete, der Rettungswagen für Weiße durfte keinen verletzten Schwarzen mitnehmen. Das Fundament der Apartheid war blanker Rassismus.

Die historischen Parallelisierungen, ob mit dem Nationalsozialismus oder mit Südafrika, dienen nicht dem Verständnis, sondern bloß der Propaganda und der Hetze. Was analog scheint, ist nicht ident. Das Ähnliche wird allerdings zum Gleichartigen erklärt, um die jeweilige Gegenseite zu dämonisieren.

Glaubt denn Netanjahu wirklich, alle Befürworter einer Anerkennung von Palästina wären verkappte Kollaborateure eines nazistischen Antisemitismus?

Israelische Persönlichkeiten wie der berühmte Historiker Yehuda Bauer, der Schriftsteller Yoram Kaniuk, der Autor Amos Oz, die Schriftstellerin Savyon Liebrecht, frühere Generäle, einstige Geheimdienstchefs, ehemalige Rektoren der Hebräischen Universität, etliche Gewinner des Israel-Preises, der höchsten Auszeichnung im Land, sprachen sich für eine Anerkennung Palästinas aus. Glaubt irgendwer, die wären allesamt für einen "judenreinen" Apartheidstaat?

Verbaute Zukunft

Es gibt verschiedene Gründe, dem Antrag von Präsidenten Abbas vor den Vereinten Nationen nicht zuzustimmen. Barack Obama etwa lehnt einen einseitigen Schritt gegen Israel ab. Der israelische Diplomat Avi Primor, eine wichtige Stimme für den Dialog, fürchtet, der Antrag von Abbas in der Uno werde zur Eskalation und letztlich zur Schwächung der Autonomiebehörde führen. Fraglich auch, ob sich Österreich angesichts der eigenen Vergangenheit unbedingt bei der Anerkennung Palästinas vordrängeln muss. Vielleicht ist es besser, auf Vermittlung zu bauen.

Die Rede gegen das "judenreine" Palästina baut aber nicht auf Verständigung. Der Abzug wird als Weg nach Auschwitz charakterisiert. Die Teilung des Heiligen Landes wird als größte Katastrophe empfunden.

Was linkere Zionisten von David Ben Gurion bis Jitzchak Rabin erträumten, widerstrebte der ideologisch revisionistischen Rechten von Anfang an. Sie hoffte nie auf den territorialen Kompromiss. Sie kannte seit jeher keine besetzten, sondern nur befreite Gebiete. Sie entzieht den Gemeinden, den Schulen und den Spitälern in Israel die Gelder, um Trutzburgen in Palästina zu errichten. Sie kämpft ums ganze Land und opfert dabei den ganzen Staat. (Doron Rabinovici, DER STANDARD Printausgabe, 6.10.2011)