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Das optimale Zeugungsalter für Männer liegt zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr.

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Tina-Katrin Zenker ist Ärztin für Naturheilkunde, Gerontologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Erich Saling Institut für Perinatale Medizin in Berlin.

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Der erfolgreiche Mann von heute zeugt in zweiter Ehe mit einer deutlich jüngeren Frau noch einmal Kinder. Die Risiken für die Nachkommen kennt er nicht. Perinatalmedizinerin und Gerontologin Tina-Katrin Zenker wägt die Vor- und Nachteile später Vaterschaft ab.

derStandard.at: Warum liegt Ihnen so viel an dem Thema?

Zenker: Ich arbeite am Erich Saling Institut für Perinatale Medizin in Berlin. Diese gemeinnützige Einrichtung widmet sich der Verbesserung der Schwangerenvorsorge, insbesondere der Vermeidung von Frühgeburten. Bei der Beschäftigung mit dem Thema bin ich darüber gestolpert, dass das Alter des Vaters hier eine erhebliche Rolle spielt. Das war niemandem bekannt, auch an unserem Institut nicht.

derStandard.at: Bei Frauen heißt es, ihre Zeit läuft ab, Männer können dagegen bis ins hohe Alter Kinder zeugen. Stimmt das?

Zenker: Keineswegs, denn mittlerweile geht man davon aus, dass verschiedene genetische und epigenetische Gründe dafür verantwortlich sind, dass die Kinder älterer Väter häufig krank sind. Die Stammzellen im Hoden eines 50-jährigen Mannes haben bereits mehr als 600 Zellteilungen durchgemacht. Die Anzahl der genetischen Defekte steigt, wodurch unterschiedlichen Erkrankungen Vorschub geleistet wird. Für das gehäufte Auftreten psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie, Autismus und bipolare Störungen bei Nachkommen älterer Männer werden aber auch epigenetische Gründe diskutiert. Dieses Gebiet wird von Experten als Schnittstelle zwischen Anlage und Umwelt verstanden. Eventuell spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle. 

derStandard.at: Und das alles passiert unabhängig vom Alter der Mutter?

Zenker: Ja. In vielen Studien wurde konkret der väterliche Einfluss erfasst. So hat sich beispielsweise auch gezeigt, dass das Sterblichkeitsrisiko in den ersten 18 Lebensjahren bei Kindern deren Väter älter als 45 Jahre sind doppelt so hoch ist, wie bei jenen, deren Väter zwischen 25 und 30 Jahre alt sind. Hier werden unter anderem die größere Anzahl an Geburtskomplikationen und Herzfehler verantwortlich gemacht. 

derStandard.at: Und schuld ist der Qualitätsverlust der Spermien?

Zenker: Ja, wenn man sich die vielen gesundheitlichen Nachteile Kinder älterer Väter ansieht, dann bekommt man Zweifel, wie gut DNA-Reparaturmechanismen, die es auch in den Keimzellen gibt, im Alter tatsächlich noch greifen. Offensichtlich lässt sich die vollständige DNA-Qualität ab 40 nicht mehr zuverlässig wiederherstellen. 

derStandard.at: Früher wurde das gemeinsame Alter von Mutter und Vater zur Risikobewertung beim Nachwuchs herangezogen. Gedeiht hier das junge Alter der Frauen den Männern nicht zum Vorteil? Gleicht die Jugend hier das Alter aus?

Zenker: Bei einigen Erkrankungen ist das zu hoffen. Bei der Intelligenz ist das aber ganz offensichtlich nicht der Fall. Hier soll sich das jugendliche Alter der Mutter sogar ungünstig auswirken. Für den väterlichen Einfluss gilt: Der Intelligenzquotient von Kindern älterer Väter ist durchschnittlich niedriger als der von Kindern jüngerer Väter. Sechs Punkte beträgt der Unterschied durchschnittlich. Das ist nicht viel, jedoch passt eine andere Studie dazu, die besagt, dass geistig retardierte Kinder ältere Väter haben als Gesunde. Die Kombination alter Vater und junge Mutter wäre demnach hinsichtlich der Intelligenz besonders ungünstig.

derStandard.at: Gibt es ein perfektes Alter für Männer um Kinder zu zeugen?

Zenker: Optimal wäre zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Interessanterweise hat man auch herausgefunden, dass Früh- und Totgeburten wesentlich häufiger vorkommen, wenn die Väter unter 20 Jahre alt sind. 

derStandard.at: Wann sollten Frauen Kinder bekommen?

Zenker: Als Erstgebärende zwischen dem 20. Und 35. Lebensjahr. Das Risiko bei der ersten Schwangerschaft liegt höher als bei den weiteren.

derStandard.at: Es würde also Sinn machen, wenn Männer im jungen Alter ihre Spermien einfrieren lassen?

Zenker: Ja. Die Möglichkeit gibt es ja heute auch. Nur welcher Mann denkt schon so weit in die Zukunft und welcher junge Mann möchte später schon ein alter Vater für sein Kind sein? Kinder älterer Väter erleben außerdem oft ihre väterlichen Großeltern oft nicht mehr. Auch das ist ein großer Nachteil. 

derStandard.at: Aber im Grunde sind Männer doch lange fortpflanzungsfähig? Oder kommt bei älteren Männern die Reproduktionsmedizin oft auf den Plan?

Zenker: Die kommt oft und immer öfter auf den Plan. Es wird ja auch daran verdient und nicht wenig. Und es spielt auch eine Rolle, dass Familiengründungen heute oft später stattfinden. Außerdem sind die Scheidungsraten sehr hoch und viele Männer zeugen dann mit ihren neuen Partnerinnen wieder neue Kinder. Das ist ein gesellschaftlicher Trend, der so das Bild des erfolgreichen Mannes zur Zeit prägt. 

derStandard.at: Ist das eine neue Form der Midlife-Crisis?

Zenker: So kann man es bezeichnen. Gerade in den Medien werden Herren Mitte 50 als Vorbilder präsentiert. Männer, die Karriere gemacht haben, dann ihre gleich alte Frau durch eine Jüngere ersetzen und noch einmal eine Familie gründen. 

derStandard.at: Lehnen Sie diesen Trend ab, weil er für die Nachkommen von Nachteil ist?

Zenker: Das würde ich nicht sagen. Das Problem ist ein gravierendes Informationsdefizit. Ich spreche Männern ihr Verantwortungsbewusstsein nicht ab. Nur sind den wenigsten die Risiken bekannt. Ich persönlich würde Männern, die deutlich über 40 sind, zur Adoption raten und jungen Leuten empfehlen ihre Samen einfrieren zu lassen, um später die Vor- und Nachteile der späten Vaterschaft individuell abzuwägen. 

derStandard.at: Warum werden Familien darüber nicht aufgeklärt?

Zenker: Weil auch viele Gynäkologen mit diesem Thema nicht vertraut sind. Ich habe gestaunt, wie viele Professoren, die ich persönlich kenne, nichts davon wussten, auch mein eigener Gynäkologe nicht. Dazu kommt, dass Herren, die sich selbst in diesem Alter befinden, darüber gar nicht erst nachdenken oder gar reden wollen. Ich habe das Gefühl, hier wird an einem Tabu gekratzt. (derStandard.at, 12.10.2011)