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Kurdische Frauen bei einem Protest am 1. September, dem Weltfriedenstag, in Istanbul. Demonstrierenden Studierende drohen Gefängnisstrafe und Uni-Verweis.

Foto: dapd

Istanbul/Diyarbakir/Wien - "Du kannst dich nicht für politische Rechte von Kurden in einer Lehrveranstaltung aussprechen, ohne in die Ecke der Terroristen gerückt zu werden", erzählt Beran*. Obwohl Kurden 20 Prozent der türkischen Bevölkerung ausmachen, sind sie keine anerkannte ethnische Minderheit und werden in ihren Grundrechten beschnitten.

Beran fing sein Studium in Istanbul an und studiert nun Betriebswirtschaft in Klagenfurt. Der junge Kurde habe sich fürs Studium in Österreich entschieden, weil "es hier mehr Qualität und Meinungsfreiheit gibt. Hier kann ich mich politisch engagieren und werde nicht verhaftet." Als Beran zu studieren anfing, merkte er schnell, dass es problematisch ist, wenn ein Kurde Demos, Diskussionsrunden oder Vernetzung zwischen kurdischen Studenten organisiert. Denn jede politische Aktivität, an der sich Studierende beteiligen, wird dokumentiert und kann belastend wirken. "Es kann keine Demo stattfinden, ohne dass es zu Verhaftungen kommt", sagt Beran.

Polizeiliche Kontrolle findet an jeder Universität statt. Beran berichtet aus eigener Erfahrung, Studienkollegen könnten überall als Informanten für die Polizei fungieren, und nächtliche Razzien in Studentenwohnheimen seien keine Seltenheit.
Polizisten bewachen Unis

Eine noch restriktivere Vorgehensweise ist im östlichen, vermehrt von Kurden bewohnten Teil der Türkei üblich. An der Uni von Diyarbakir haben 70 Prozent der Studenten kurdische Wurzeln - Grund genug für den Staat, uniformierte Polizisten zu stationieren. "Hinzu kommen Exekutivbeamten in Zivil, die sich in das universitäre Umfeld integrieren", erzählt Mevlüt*, kurdischer Student aus Diyarbakir. "Man lebt in ständiger Vorsicht und muss beispielsweise sehr darauf achten, was man zu Professoren sagt. Schließlich beurteilt er die Prüfung und kann dich durchfallen lassen bis alle Antritte ausgeschöpft sind und du von der Uni gehen musst." Es herrsche ein großer psychischer Druck, "jeder Studienkollege könnte ein Zivilpolizist sein", schildert Mevlüt. Sein Studium der Turkologie brach er ab und zog nach Österreich. Auch er nennt wie Beran Furcht vor politischer Verfolgung als einen der Gründe für den Studienortswechsel. Hinzu kommt, dass es wenige Möglichkeiten gibt, auf dem Gebiet der Kurdologie zu forschen. Als er ansuchte, über ein Thema der kurdischen Geschichte zu forschen, folgte eine Disziplinarstrafe. Es stehe Studenten und Professoren frei, sich mit dem Gebiet der kurdischen Kultur zu beschäftigen. Geschichte und Politik hingegen seien Themen, die keinen Raum in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit finden. Der Gebrauch des Begriffs "Kurdistan" in wissenschaftlichen Arbeiten, als Bezeichnung für das von Kurden bewohnte Gebiet, ist in der Türkei verboten.

"Die Assimilationspolitik fängt in der Schule an", sagt Mevlüt. Obwohl 20 Prozent der Bevölkerung Kurden sind, gibt es in der Schulzeit keinen Unterricht auf Kurdisch. Einen Lichtblick gab es 2009, als an der Uni Mardin Artuklu ein kurdisches Sprachstudium eingerichtet wurde. Bis jetzt ist nur ein Master in Kurdisch möglich, ein Bachelorprogramm ist im Entstehen. Mevlüt sieht dennoch Lücken, "es fehlt momentan an entsprechendem akademischem Personal und an Publikationen".

Mangel an Verständnis

Die Repressionspolitik gegenüber dem kurdischen Volk wird medial als Kampf gegen Terroristen, die das Land spalten wollen, begründet. Fehlinformation und mangelnde Sensibilität für die Anliegen der kurdischen Studienkollegen sind die Grundlagen dafür, dass türkische Kollegen auf Aktivismus mit Unverständnis reagieren. "Unser größtes Anliegen ist nicht, ein eigenes Land zu haben, wir wollen das größtenteils von Kurden bewohnte Gebiet autonom verwalten und eine gesicherte Bildung auf Kurdisch und Türkisch", erklärt Mevlüt.

Er berichtet von Verhaftungen und Misshandlungen seiner Studienkollegen, die in den Medien totgeschwiegen werden. Ein Kurde, der bei einer Demo verhaftet wurde, hat gefordert, seine Prüfung schreiben zu dürfen, mit Polizeibegleitung und in Handschellen durfte er in den Hörsaal. Andere Studentinnen schildern von sexuellen Übergriffen während des Verhörs. "Es ist schockierend, dass das Verfassen kritischer Texte oder der Besuch einer Demo zu solchen Taten führen kann", sind sich Beran und Mevlüt einig. (Kristina Nedeljkoviæ, UniStandard, 6.10.2011)

*Namen von der Redaktion geändert