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Ich hatte Sissi gesehen, von Indien hatte ich gehört. Das war's aber auch schon. Wirklich habe ich den österreichischen Film zuallererst als eine Gemeinschaft von Filmschaffenden kennengelernt - die Filmproduktion Coop99, namentlich Antonin Svoboda, Barbara Albert, Jessica Hausner und Martin Gschlacht, und die Filmschaffenden in ihrem Umfeld. Hier herrschte ein Bewusstsein von Film als künstlerischem Medium und eine Vision für persönliche, international relevante und formal anspruchsvolle Filme.

Als Film- und Kunststudent aus Deutschland war das neu für mich, und es weckte den Wunsch, in dieser Gemeinschaft arbeiten zu können. Erst dann sah ich Filme wie Die Klavierspielerin, Good News, Lovely Rita, Nordrand , Indien und viele mehr. Und zu meinem Glück ist mein Wunsch wahr geworden, und ich hatte die Möglichkeit, meinen ersten Spielfilm Schläfer und später mit der Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion auch meinen zweiten, Der Räuber, in diesem Zusammenhang zu drehen. Beide Filme haben enorm davon profitiert, dass es das oben beschriebene Umfeld gab. Es ist von unschätzbarem Wert, dass Kollegen wie Michael Haneke und Götz Spielmann genauso wie hoch dekorierte Produzenten, Cutter, Ausstatter und Dramaturgen zu Testvorführungen kommen und mitdenken, um Filme von Studenten, Kollegen und Freunden besser zu machen. Solche Zusammenhänge gibt es selten, und fast immer bringen sie außergewöhnliche Werke hervor.

Der österreichische Film ist für mich heute eine lange Reihe von großartigen Filmen, die Österreich zu einem der erfolgreichsten, lebendigsten und innovativsten Filmstandorte der Welt gemacht haben.

Benjamin Heisenberg

Foto: EPA/TIM BRAKEMEIER

Die Welt steht Kopf: Raimund Wallisch (li.) und Michael Ostrowski in Michael Glawoggers Kifferkomödie "Contact High".

Mit dem Begriff "österreichischer Film" verbinde ich ein unerwartet heftig flackerndes Licht auf einer Leinwand, irgendwo in einer Grazer Galerie, meinem jugendlichen Auge geschenkt von Peter Kubelka. Eine makellose Ballszene, in fast manisch präziser Akribie von Willi Forst entworfen und inszeniert. Einen in Gummistiefeln tanzenden nackten Mann, beobachtet von Ulrich Seidl.

Ich verbinde ihn mit einer seltsam wirren Massenszene aus Sodom und Gomorrha von Michael Curtiz, mit hypnotisch realistischen Discoszenen von Barbara Albert, mit der filmischen Realität einer Trabrennbahn, die sich von Michael Kreihsl Befehle erteilen lässt. Mit dem geheimnisvollen Licht der Kohlelampen aus der Erinnerung von Wolfgang Murnberger, mit einem lange vermissten lasziven Atem in Gustav Ucickys Café Elektric, mit atemlosen Trommlern in Hanekes Code inconnu, mit brennend klugen Lichtblitzern von Peter Tscherkassky, für immer hinter die Augäpfel gebrannt.

Mit einem Mann, der vor der Oper in eine Kamera starrt, festgehalten von den Brüdern Lumière. Mit dem Tapp- und Tastkino, das Valie Export durch Wien trug, mit Franz Novotnys Die Ausgesperrten - und mit ihm, weil er der bestgekleidete Regisseur des Landes ist -, mit dem Lispeln von Hans Moser, den blitzenden Augen von Paulus Manker, dem zu großen Gesicht von Paula Wessely. Mit dem Witzepräsidenten Ossy Kolmann und dem Volksschauspieler in spe, Michael Ostrowski, aber auch mit den Menschenfressern in Elsewhere und mit einem Blick von Birgit Doll in Suzie Washington.

Ach ja, und damit, dass Qualtinger unter uns war, und mit allen jenen Momenten, die mir im Moment nicht einfallen wollen.

Michael Glawogger

Foto: Lunafilm

Johannes Holzhausens Dokumentarfilm "Auf allen Meeren" begleitet ein stolzes Schiff auf seiner Fahrt zur Demontage.

Mein erster Dokumentarfilm, den ich "mitgestalten" durfte, war Good News von Ulrich Seidl. Als Filmakademiestudent war ich eingeladen zu einem Preview des noch unfertigen Filmes, der etwa vier Stunden lang war. Danach gab es Fragebögen zu beantworten, ich schrieb damals darauf, dass der Film perfekt sei und bitte nicht gekürzt werden sollte.

Nun, der Film wurde um die Hälfte gekürzt und wurde zu einem der besten und erfolgreichsten Filme, aber das kritische Betrachten und Besprechen von Filmen mit meinen Kollegen und Kolleginnen ist mir immer noch eine der wichtigsten Nebenbeschäftigungen. Um Rat gefragt zu werden oder Rat bei anderen einzuholen, gemeinsam über Montagevarianten, andere mögliche Zugänge zu Stoffen usw. zu grübeln und zu diskutieren macht für mich die lebendige Wirklichkeit der österreichischen Dokumentarfilmszene aus.

Diesen Erfahrungsaustausch wie die Offenheit und Hilfsbereitschaft untereinander schätze ich sehr. Seit 2000 haben wir dafür auch einen institutionellen Rahmen: dok.at. Neben den vielen Tätigkeiten wird hier der heimische Film auch mit der internationalen Szene vernetzt. Durch die von dok.at veranstalteten Filmschauen gibt es immer wieder die Möglichkeit, seinen filmischen Horizont jenseits der österreichischen Grenzen im gemeinsamen Sehen und Reden zu erweitern, die eigene Arbeit zu hinterfragen und Kontakte mit ausländischen Filmemachern zu knüpfen - wie etwa mit dem französischen Dokumentaristen Nicolas Philibert ein Bier zu trinken und über La Ville Louvre zu reden.

Bei diesen wie vielen anderen Gelegenheiten wird klar: Der österreichische Dokumentarfilm ist ein dynamischer Teil des internationalen Kinos.

Johannes Holzhausen

Foto: Navigator

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Es fällt mir schwer, zurzeit eine klare Richtung/Prägung des aktuellen österreichischen Films zu erkennen. Das bedeutet aber nicht, dass das etwas Schlechtes sei. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass wir uns gerade in einer Zeit des Ausprobierens und Findens befinden. Zum einen wird vermehrt versucht, mit den unterschiedlichsten Genres zu spielen - und durchaus auch mit der Absicht, ein größeres Publikum zu erreichen -, und zum anderen wird zum Glück auch noch weiterhin der österreichische Autorenfilm gepflegt.

Ich hege die Befürchtung, dass aus Herstellersicht die Annahme besteht, dass Genrefilme im Allgemeinen nicht wirklich die persönliche Handschrift eines Filmemachers brauchen, um an der Kasse erfolgreich zu sein. Ein Unding, das ich am deutschen Filmmarkt schon seit mehreren Jahren beobachte. Und da bin ich durchaus Nationalist, wenn ich meine, dass die österreichische Art und Weise, "persönliche Filme" zu machen im internationalen Kontext eine ganz eigene und seltsame ist, die auch für das zukünftige österreichische Genrekino einen unschätzbaren Wert haben kann. Filme wie etwa Andreas Prochaskas Komödie Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott, aber auch Jessica Hausners Hotel haben das auf ihre Art meisterlich bewiesen.

Mein Appell also - entlehnt aus der Modebranche: Mix and match!

Marvin Kren

Foto: EPA/JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Meine erste Begegnung mit dem österreichischen Film hatte ich in den Vereinigten Staaten, in San Francisco, wo ich Regie studierte und das Art Institute besuchte. Dort entdeckte ich Peter Kubelka, Martin Arnold und Peter Tscherkassky. Die waren spannend, anders, die waren experimentell. Das war 1989; 1991 verbrachte ich dann ein Jahr in Wien, wo ich beim neu gegründeten Sixpackfilm arbeitete. Hier entdeckte ich ganz andere Facetten des österreichischen Films.

Ich begeisterte mich für Wen die Götter lieben von Johannes Holzhausen, bewunderte die Feinheit, den Gefühlsreichtum und die Liebe, die dieser Film ausstrahlte. Ich dachte mir, dieser Film spiegle nicht nur die Schöngeistigkeit seines Regisseurs, sondern auch seines Heimatlandes wieder.

Danach habe ich die Filme von Ulrich Seidl, Michael Haneke, Barbara Albert und anderen gesehen, und da begriff ich, dass diese Liebe der Protagonisten in Wen die Götter lieben einzigartig ist. Im österreichischen Film sind die Personen in meist sehr komplexen Gefühlswelten gefangen, Lieben fällt ihnen nicht leicht, sie leiden große Seelenqualen und fühlen tiefen Hass. Und die Filmemacher erzählen davon, weil sie selbst davon berührt sind, tief berührt.

Manchmal sagt man, österreichische Film seien "feel bad movies", doch sie sind eine künstlerische Aufarbeitung der Seelenlandschaft ihrer Schöpfer. Ich bewundere sie, sie sind wahre Meister in der Über- und Umsetzung ihrer Nöte und ihres Weltschmerzes. Manchmal fällt es mir nicht leicht, mir ihre Filme anzusehen, so realistisch sind sie und so unbarmherzig. Natürlich gibt es da auch Komödien. Aber ich glaube, selbst für Komödien müssen Filmschaffende gegen einen größeren Sog ankämpfen, der sie in die Vergangenheit zieht, Abgründigem entgegen.

So habe ich auch immer besonders gerne die österreichische Seele in der Kronen Zeitung aufgespürt: Tag für Tag ein Boulevardstück. Da habe ich vieles begriffen ... Nathalie Borgers

Foto: Standard/Robert Newald

Es ist ja auch so schon nicht immer einfach, Österreicher zu sein. Zum einen, weil die Eigendefinition über eine Nation sowieso schon längst ein Anachronismus sein sollte, und noch viel mehr, weil in diesem Land tatsächlich oft Dinge schieflaufen, mit denen ich mich einfach nicht identifizieren will und auch nicht identifiziert werden möchte.

Aber das hilft alles nichts, wenn man als österreichischer Regisseur internationale Festivals bereist. Kaum betritt man das Festivalbüro, wird man vom Individuum zum Österreicher, zum Kulturvermittler, der dazu befragt wird, warum gerade das kleine Land Österreich einen so hohen Output an erfolgreichen Filmen aufzuweisen hat. Der Ruf vom starken österreichischen Film eilt uns voraus, durchaus zu Recht.

Nur glaube ich nicht, dass uns das Filmemachen besonders im Blut liegt, ich glaube auch nicht an eine speziellere Begabung oder eine herausragendere Ausbildung als bei unseren Nachbarn.

Der Grund dafür, dass unsere Filme tatsächlich von überdurchschnittlicher Qualität sind und auch so wahrgenommen werden, ist viel trivialer: Wir haben im internationalen Vergleich eine immer noch solide finanzielle Ausstattung und gelegentlich auch Kommissionen, die sich vor mutigen Projekten nicht fürchten. Natürlich muss man über Budgets und Rahmenbedingungen streiten, aber das grundsätzliche Commitment ist vorhanden, Film in all seinen Formen zu finanzieren und sich damit eine beachtliche Visitenkarte zu schaffen.

Das ist üblicherweise auch meine Antwort auf die Fragen nach der Ursache des österreichischen Filmwunders. Hier wird gesät, hier wird geerntet. Es ist so einfach und für viele doch so unvorstellbar. Ein Staat muss sich überlegen, wo er investiert, und dass Österreich sich seine Kulturbudgets - zumindest noch - leistet, versöhnt mich immer wieder mit diesem Land. Nikolaus Geyrhalter

(DER STANDARD/SPEZIAL - Printausgabe, 8./9. Oktober 2011)

Foto: Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH