Brigitte Fürle nimmt Abschied.

Foto: BFS

Andrea Schurian traf die Österreicherin in Berlin zum Gespräch.

STANDARD: Im sechsten und letzten Jahr als künstlerische Leiterin von "Spielzeit Europa" stemmen Sie Ihre erste Eigenproduktion: Ist das ein Abschiedsgeschenk an die Berliner - oder an sich selbst?

Fürle: Wir haben ja beinah auf so eine Situation gewartet: Dass ein Künstler ein Haus wie unseres sucht und dass man mit den Berliner Festspielen so ein Projekt realisieren kann. Die Chance, so ein Projekt zu realisieren, hat man vielleicht nur einmal im Leben. Ich konnte sie als Auftakt für meinen Abschied realisieren.

STANDARD: Das Festival heißt "Spielzeit Europa", aber Sie haben den Radius mit der Einladung von Lemi Ponifasio und seiner Truppe "Mau" bis nach Polynesien ausgedehnt. Ist in Europa zu wenig los?

Fürle: Ich glaube nicht an nationales Branding. Es geht darum, wie man Geschichten neu erzählen kann. Die Herkunft verliert sich. Es ist nicht wichtig, woher man kommt, sondern wer man gemeinsam geworden ist.

STANDARD: Sie waren bei den Wiener Festwochen für internationales Theater zuständig, haben das Young Directors' Project in Salzburg aufgebaut und u. a. Alvis Hermanis entdeckt, nun sechs Jahre Berlin. Was sind denn die großen Unterschiede dieser Festivals?

Fürle: Na ja, als Kultur- und Kunstinstitution wird man in Wien und Salzburg schon sehr viel wertschätzender behandelt als in Berlin.

STANDARD: Vom Publikum, von der Kritik oder den Politikern?

Fürle: Das Berliner Publikum ist wunderbar. Aber eine barocke, lebensbejahende, utopische, sehnsuchtsvoll definierte Kunstrichtung löst hier Berührungsängste aus, die mich erstaunt haben. In Berlin muss alles ein wenig schmerzen, wehtun, ans Eingemachte gehen, zynisch sein - dann ist man am Puls der Zeit. Aber ich habe das in den 1970ern abgearbeitet und suche am Theater etwas anderes.

STANDARD: Nämlich was?

Fürle: Ein Gefühl der Zugehörigkeit und Empathie. Das können wir drehen und wenden, wie wir wollen, aber das macht das Theater verdammt noch einmal aus. Es ist zuallererst eine Begegnung von Menschen! Wenn man das leugnet, wenn man das Theater nicht als diesen letzten Ort der Gemeinschaft definiert, ist man am falschen Platz. Allerorten wird von Konzepten geredet, aber mich interessieren die Menschen auf der Bühne. Da bange ich im Moment auch um das Theater. Dieser Vodafonismus, wo Schauspieler nur mehr Material sind, macht mir Angst.

STANDARD: Für Ihr "Riesen"-Straßentheaterprojekt zum Thema 20 Jahre Mauerfall vor zwei Jahren wurden Sie teilweise heftig attackiert. Arte wiederum sagte, es sei das größte Kulturereignis nach der Reichstagsverhüllung gewesen.

Fürle: Theater ist für mich nicht nur Denk-, sondern Erlebnis- und Begegnungsraum. Da regt sich Widerstand. Aber wenn zwei Millionen Menschen sichtbarst Emotionen erleben: Da ist es zynisch, zu behaupten, das sei nicht Kunst. Mich wundert, dass man Theater in Berlin trennen muss in intellektuelle und emotionale Wahrnehmungen.

STANDARD: Was sind Ihre Pläne für danach?

Fürle: Ich möchte auf dieser Begegnung mit Lemi Ponifasio aufbauen und weiterarbeiten. Da gibt es Interesse und Möglichkeiten, etwa als Sonderprojekt der Berliner Festspiele im nächsten Jahr. Das wäre mein richtiges Wunschabschiedsprojekt. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 8./9. Oktober 2011)