Kehrt die Eurozone vom Rand des Abgrunds zurück? Möglich wäre es, da sich abzeichnet, dass das neue Regelwerk zur Lösung der Staatsschuldenkrise eine Schlüsselkomponente enthält, die bisher gefehlt hat.
Die Ansteckung begann mit der Erkenntnis der Investoren, dass der Rettungsfonds, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), nur zur finanziellen Unterstützung der peripheren Staaten ausgelegt war. Mit 440 Milliarden Euro hat er heute und auch zukünftig nicht genug Mittel, um die umfangreichen Anleihekäufe zu finanzieren, die zur Stabilisierung der Schuldenmärkte großer Volkswirtschaften wie Spanien und Italien erforderlich sind. Andererseits hatten die Märkte erkannt, dass die Europäische Zentralbank nicht willens war, in größerem Stil Anleihen der gefährdeten Staaten aufzukaufen. Erst später stellte sich heraus, dass die Linie der EZB gar nicht so hart war.
Das Problem besteht nun darin, dass die Eurozone einen Liquiditätsgaranten für ihre Finanzbehörde benötigt. In einer "normalen" Volkswirtschaft mit eigener Währung mangelt es den Finanzbehörden nie an Liquidität, da die Regierung sich immer (zumindest potenziell) auf die Unterstützung ihrer Notenbank verlassen kann.
Die Situation von Regierungen in der Eurozone dagegen ist immer bedenklich: Sie haben nur sehr langfristige Aktivposten (ihre Steuereinnahmen), aber ihre Staatsschulden, die größtenteils jährlich erneuert werden müssen, sind kurzfristiger Natur. Wenn Investoren sich um jeden Preis weigern, diese Schulden zu finanzieren, geraten selbst finanziell verantwortungsvolle Regierungen in eine Liquiditätsklemme und werden insolvent.
Auch Banken haben kurzfristige Verbindlichkeiten (Einlagen) und langfristige Aktivposten, die sie nur unter großen Verlusten zeitnah liquidieren können. Wenn ein Ansturm auf die Banken droht, stellen deshalb alle Länder Notliquidität zur Verfügung, so wie es weltweit während der Pleite von Lehman Brothers im Jahr 2008 geschah.
Auch die Eurozone benötigt solch einen Mechanismus, um einem Ansturm auf die Staatsschulden der Mitgliedsländer entgegen zu wirken. Die gute Nachricht ist, dass sich langsam eine Lösung abzeichnet, bei der die EZB als Sicherheit für die EFSF dienen könnte. Dies kann einfach dadurch erreicht werden, dass die EFSF als Bank registriert wird, wodurch sie wie andere Banken auf eine normale Finanzierung durch die EZB zurückgreifen könnte. Die EFSF könnte dann von der EZB Fremdkapital aufnehmen und in großem Stil Staatsschulden aufkaufen, die wiederum als Sicherheiten dienen würden.
So könnte eine sinnvolle Arbeitsteilung erreicht werden. Die EFSF würde sich um die Finanzkrisen der Mitgliedsländer kümmern, wenn diese Liquiditätsprobleme haben. Für Länder mit Solvenzproblemen wäre ein Anpassungsprogramm wie das für Griechenland, Irland und Portugal angemessen.
Wenn Investoren wissen, dass ein Liquiditätsengpass nicht mehr möglich ist, werden die spekulativen Angriffe auf solvente Staaten aufhören. Als sich herumsprach, dass zumindest hinter verschlossenen Türen über diese Lösung beraten wurde, ließen die panischen Zustände auf den Finanzmärkten nach. Nun muss diese Lösung offiziell umgesetzt werden.
Wie immer in Europa stehen Veränderungen rechtliche und politische Hindernisse im Wege, sie können aber überwunden werden. Selbst die unwilligsten Politiker erkennen, dass die Kosten des Nichthandelns zu hoch sind. Schwerer wiegt der Unwillen Deutschlands, öffentlich zuzugeben, dass die Liquiditätsversorgung der EZB bei Staatsschuldenkrisen eine entscheidende Voraussetzung für zukünftige finanzielle Stabilität ist. Nur die deutsche Regierung und die EZB können diese subtile, aber tiefgründige Reform der fundamentalen Untermauerung des Euro in die Wege leiten. Sie können diese Entscheidung nicht mehr lange aufschieben. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 8.10.2011)