Graz – Es gibt sie auch in diesen Zeiten des Spezialistentums, jene Doppelbegabungen, die etwa den Berufszweig des Komponisten mit jenem des Performers in sich vereinen. Und wenn man Glück hat, bewegt sich der Künstler in beiden Bereichen auf hohem Niveau – wie etwa die polnische Komponistin Agata Zubel nun beim Grazer Musikprotokoll in der Helmut-List-Halle, wo ihr Stück Aphorisms on Milosz aufgeführt wurde.

Es handelt sich dabei um eine Reihung von prägnanten Passagen, in denen sich über höchst unterschiedliche instrumentale Ausdrucksgesten vertonte Gedanken des Dichters Czeslav Milosz erheben. Und es beeindruckte, mit welcher Klarheit und Sicherheit Zubel den vokalen Part absolvierte. Über mitunter fast minimalistische Repetitionsstilistik vermittelnde Orchestergedanken (Klangforum Wien unter Clement Power) brachte sie eine oft in langen Tönen ausgebreitete Lyrik klangvoll ins Geschehen ein.

Im klassischen Konzertbereich des Musikprotokolls blieb dieser doppelte Künstlereinsatz eher die Ausnahme. Nur der Ungar Balazs Horvath taucht im Video zu seiner Faust Groteske auf (die auf Franz Liszts Symphonie Bezug nimmt). Ansonsten viel Kontrastreiches: Von einer Neubefragung der Tonalität mit emphatischen Mitteln (David Lukas und sein opulentes Stück Des cauchemars et des rêves, two dreams from Symphony No. 1) war zu hören. Aber auch vom Vorteil, sich quasi einem Thema zu widmen und dieses variierend ein Stück prägen zu lassen – wie etwa Rita Ueda mit as the snowflakes return to the sky: Dieses Opus entwickelt über markante Musikgesten starken formalen Zusammenhalt. Explizit mit Gesten setzte sich Clemens Gadenstätter bei Iconosonics auseinander: Aus dem Barock stammende Figuren wie auch "akustische Bilder der Programmmusik des 19. Jahrhunderts" sollen ihre "klanglich-rhythmisch-harmonischen Qualitäten" durch Veränderungsprozesse zurückerlangen. Der erste Teil jedenfalls (Ensemble L'Instant Donne) wartete mit einer Fülle an dichten Gedanken auf. (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2011)