Fragt man Eltern, worauf sie bei der Auswahl der Volksschule am meisten achten, hört man immer wieder das gleiche: "Zu viele AusländerInnen dürfen nicht dort sein." Eine Rhetorik, die von populistischen PolitikerInnen stammt und denen zu Problemen im Bildungssystems nichts anderes einfällt als: "Wenn wir heute eine Wiener Schulklasse mit 90 oder 100 Prozent Ausländeranteil haben..."

Rein sprachlich wird hier ein sehr gefährliches Bild transportiert. Es geht nämlich nicht darum, was diese "ausländischen Kinder" (eigentlich ÖsterreicherInnen, deren Eltern oder Großeltern zugewandert sind, die aber immer noch seltsame Namen haben und anders aussehen) machen oder können. Die bloße Tatsache, dass sie am Leben sind und in die Schule gehen, wird als Problem bezeichnet. "Zu viele Ausländer in der Klasse sind schlecht ". So lautet die Botschaft. Und sie kommt an.

"Ein Löffelchen Hass"

Stellen Sie sich den sechsjährigen Murat vor. Er geht in die Volksschule und ist genau so unschuldig, wie alle anderen Kinder auch, hat nichts verbrochen und kann auch für gar nichts persönlich verantwortlich gemacht werden. Aber trotzdem ist er aus der Sicht vieler Eltern (und Populisten) bereits ein Problem. Er wird mit dem Gedanken und Gefühl aufwachsen, dass obwohl er rein gar nichts falsch gemacht hat, ein Problem in der Gesellschaft darstellt.
Glauben Sie mir, dieses Gefühl ist fürchterlich! Oder um es mit den Worten eines Freundes zu sagen: "Das ist wie jeden Tag mit einem Löffelchen Hass gefüttert zu werden." Und wenn wir Murat 15 Jahre später fragen, ob er sich denn als Österreicher sieht und sich hier pudelwohl fühlt, werden wir uns - wie heute - wundern, wenn er nicht aus vollem Herzen "ja" sagt.

Die dahinter liegende Angst der Eltern, ist natürlich legitim. Es geht gar nicht um „Ausländer", sondern darum, dass ihr Kind die bestmögliche Ausbildung bekommt. Wer möchte das denn nicht für seinen Nachwuchs? Nun besteht die Befürchtung, dass wenn zu viele Kinder in der Klasse kein Deutsch können, der gesamte Unterricht darunter leidet. Diese Sorge ist natürlich nachvollziehbar und berechtigt. Aber das Problem sind nicht die "Ausländerkinder".
Das Problem ist vielmehr, dass sich in den letzten Jahrzehnten die demographische Struktur der Bevölkerung geändert hat, das Bildungssystem dagegen nicht. Unser Bildungssystem geht davon aus, dass Kinder, die in die Volksschule kommen, bereits Deutsch können. Volksschullehrer bekommen während ihrer Ausbildung schließlich nicht beigebracht, wie sie Deutsch quasi als erste Fremdsprache lehren können. Zu der Zeit, als dieses System entworfen wurde, war das auch nicht notwendig.

Ein sechsjähriges Kind spricht meistens nur eine Sprache - seine Muttersprache. Wenn die Muttersprache Deutsch ist, dann gibt es kein Problem. Das System funktioniert. Auch Murat spricht mit sechs vielleicht auch nur eine Sprache - seine Muttersprache, nur ist das in diesem Fall eben nicht Deutsch. Wenn Murat der einzige in der Klasse mit einem Sprachproblem ist, kann das ein engagierter Lehrer meistens ausgleichen. Wenn aber plötzlich die Mehrheit kein Deutsch spricht, funktioniert es nicht mehr.

Viele Lösungen

Dagegen kann man einiges tun. Man kann zum Beispiel vermehrt auf Eltern zugehen, und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass ohne Deutschkenntnisse der Schulbeginn schwierig wird. Oder man kann LehrerInnen das entsprechende Handwerkszeug und Unterstützung geben, um mit dieser Situation zurecht zu kommen. Oder man kann ein verpflichtendes Kindergartenjahr einführen, wie das auch gemacht wurde.
Das Problem existiert und ist auch erklär- und lösbar. Populistische PolitikerInnen vereinfachen es auf: "Die Ausländer sind das Problem". Traurig daran ist, dass diese Botschaft bei so vielen unreflektiert übernommen wird. Unwissend, was damit bei eben diesen "Problemkindern" an Schaden verursacht wird. Aufgrund des Charakters unerwünscht sein, ist die eine Sache. Aber nur aufgrund der bloßen Anwesenheit in Österreich bereits unwillkommen zu sein, ist etwas völlig anderes.

Natürlich schwingt noch ein zweites Vorurteil mit. "Ausländer können kein Deutsch." Erst vor Kurzem hat ein Chefredakteur einer Tageszeitung gesagt, der Grund warum keine JournalistInnen mit Migrationshintergrund angestellt sind, liegt darin, dass MigrantInnen halt nur schlecht Deutsch können. Links und rechts neben ihm auf dem Podium saßen zwei Journalistinnen mit Migrationshintergrund, beide preisgekrönt und mit perfektem Deutsch. Im Publikum waren einige mehr. Der Widerspruch fiel ihm nicht auf.

Ja, es gibt Migrantenkinder, die nur schlecht oder gar kein Deutsch können. Aber es gibt auch etliche, die in die Volksschule kommen und im Dialekt ihres Bundeslandes sprechen. Die soziale Schichtzugehörigkeit, der Bildungsstand und die Möglichkeiten der Eltern sind die springenden Punkte, nicht die Frage, aus welchem Land die Großeltern kommen. Auch das ist bekannt, schließlich war das immer schon so. Eigentlich auch ganz einfach zu verstehen. Aber kommt leider oft nicht an. (Yilmaz Gülüm, daStandard.at, 10.10.2011)