Selbst die Konservativsten und Kapitalismusgläubigsten müssen dieser Tage eingestehen, dass sich die Welt im Umbruch befindet. Beginnend mit dem arabischen Frühling haben sich weltweit Menschen erhoben und tragen einen breiten Protest - aus teils sehr unterschiedlichen Motiven. In Griechenland, Spanien, Großbritannien, Chile, Israel, der Türkei und seit einigen Wochen auch in den USA gehen Menschen auf die Straße und fordern gehört und ernst genommen zu werden. Die Bewegung "Occupy WallStreet" ist aus einer kleinen Gruppe heraus entstanden und hat sich mittlerweile auf mehr als 100 Städte in den USA ausgebreitet.

Überall auf der Welt regt sich Widerstand gegen eine Politik, die sich dem Diktat der Märkte unterwirft und auf ihre BürgerInnen vergisst. Die Proteste verbreiten sich nicht wie ein Lauffeuer, sondern langsam und stetig. Die Forderung nach demokratischer Mitbestimmung und danach endlich jene zur Verantwortung zu ziehen, die für den Verlust von tausenden Arbeitsplätzen, die Wertminderung von Pensionen und anderen Vorsorgen verantwortlich sind, werden kontinuierlich lauter und können nicht mehr ignoriert werden. Wenn sich weltweit Menschen erheben, sich empören und für einen demokratischen, fairen und nachhaltigen Wandel von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft eintreten, ist Feuer am Dach des kapitalistischen Systems.

Späte Einsicht ohne Erfolgschance

Das scheinen auch die konservativen Parteien in Europa begriffen zu haben, doch gelingt es ihnen nicht mehr das Ruder herumzureißen. Die Rettungs- und Stabilisierungsversuche der letzten Monate zeigen nicht die gewünschte Wirkung. Wenn die EU-Kommission dieser Tage für die Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer wirbt, stellt sich unweigerlich die Frage, warum sie das erst jetzt tut. Spätestens mit der Finanzkrise 2008 wäre die Zähmung des Casinokapitalismus ein Gebot der Stunde gewesen - heute können Maßnahmen wie diese den drohenden Zusammenbruch nicht mehr verhindern und maximal noch verzögern. Getrieben von Bonitätsbewertungen, Aktienkursen und Gewinneinbrüchen hechelt die Politik den Entwicklungen hinterher und beschränkt sich darauf, zu reagieren. Die vollmundigen Versprechungen das Finanzsystem reformieren zu wollen, wurden nicht eingehalten und sind wie Seifenblasen zerplatzt. Die wenigen Auflagen für Banken stehen in keinem Verhältnis zu den Schäden, die durch hochriskante Spekulationen, undurchschaubar komplexe Finanzprodukte und eine Laissez-faire-Politik entstanden sind.

Kein Ende der Proteste in Sicht

Zur Kasse wurden und werden vor allem jene gebeten, die Opfer und nicht TäterInnen der Krise sind. Wenn heute bei wöchentlichen Krisentreffen der Politik- und Finanzwelt händeringend nach Lösungen gesucht und gebetsmühlenartige Beruhigungspillen in die Welt geschleudert werden, ist das ein klares Indiz für die Planlosigkeit der ProtagonistInnen. Diesen Eindruck scheinen hunderttausende Menschen auf den Straßen zu teilen und wehren sich. Einsparungen im Bildungs- und Sozialbereich, fehlende Investitionen in Arbeitsplätze, steigende Inflationsraten und das bedrückende Gefühl der Ohnmacht haben dazu geführt, dass sich Politikverdrossenheit in eine aufflammende Emanzipationsbewegung umgekehrt hat. Wir erleben derzeit einen Wandel der durch eine Sensibilisierung der BürgerInnen, durch massive Verschlechterungen der Lebensqualität vieler und die Unfähigkeit (oder den Unwillen) der Politik zur Selbstreflexion inklusive der daraus folgenden Konsequenzen, begünstigt wurde.

15. Oktober ist Protest-Tag

Es ist höchst an der Zeit einen Schnitt zu machen und aktiv an der Neugestaltung dieser globalisierten Welt zu arbeiten - andernfalls drohen Zustände, die den sozialen Frieden, das Sozial- und Bildungssystem und damit die gesamte Gesellschaft noch mehr gefährden als dies ohnehin schon der Fall ist. Am 15. Oktober 2011 findet ein weltweiter Protesttag statt. In verschiedenen Städten, so auch in Österreich, werden wieder Menschen auf die Straße gehen, ein Zeichen setzen und damit den Druck auf die Politik erhöhen. Es sind Protestcamps, Demonstrationen, Kundgebungen geplant. Aus Wutbürgern werden Mutbürger die die Gestaltung ihrer Zukunft selbst in die Hand nehmen - die positive Konsequenz einer negativen Entwicklung. (Leser-Kommentar, Stefanie Klamuth, derStandard.at, 10.10.2011)