Die Treffer in Serie können sich sehen lassen: Im laufenden Jahr brachten Plagiat-Foren im Internet zunächst den deutschen Verteidigungsministers um seinen Doktorhut; dann verloren zwei Europa-Parlamentarier den akademischen Titel, ein deutscher Landtagsabgeordneter und eine ganze Reihe von Normalbürgern.

Dabei treiben die Privatermittler auf speziellen Internetplattformen die Unis praktisch vor sich her: Die Medien greifen die Plagiatsvorwürfe sofort begierig auf und verstärken sie in der Öffentlichkeit. Die einzig nennenswerte Ausnahme ist das größte deutsche Boulevardblatt, die Bild -Zeitung. Sie empfahl Karl-Theodor zu Guttenberg, freilich vergebens: "Scheiß auf den Doktor!"

Das große Echo auf die "Anpatzer" geht natürlich von der massenhaften Enttäuschung über den jungen, feschen, famosen Politstar Guttenberg aus. Gleichwohl handelt es sich bei den Wiki-Aktivisten nur um wenige Personen. Sie gestalten eine Webseite "kollaborativ", durch direkten Zugang und Eingriff von jedem Einzelnen. "Schwarm-Intelligenz" heißt der Leitbegriff. Bei der jetzt führenden "Vroniplag", benannt nach der ebenfalls zur Sünderin erklärten Tochter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten, sind es im Kern rund ein Dutzend Beiträger und technische Verwalter ("Administratoren, Bürokraten").

Es gibt keine förmlichen Mitglieder, sondern nur ein loses Miteinander. Auf dem angeschlossenen Wiki-"Forum" kann jeder jederzeit eine Doktorarbeit unter vollem Titel zur Diskussion stellen. Erforderlich sind nur ein paar Textparallelen, die einen Plagiatsverdacht erwecken. Finden sie sich auf zehn Prozent der Seiten einer Dissertation, nehmen die Wiki-Betreiber den Fall auf die Hauptseite und nennen von nun an den Verdächtigen mit vollem Namen.

Ehrenamtliche Entlarver

Aus Sorge um ihre berufliche Zukunft veröffentlichen die Köpfe hinter dem Wiki generell unter Decknamen wie Klicken, Hindemith oder KayH. Nur zwei haben sich mittlerweile geoutet, die Berliner Informatikprofessorin oder "Wisewoman" Deborah Weber-Wulff und der Gründer von Vroniplag, der Internet-Kaufmann Martin Heidingsfelder alias Goalgetter. Anders als der Salzburger Gutachter Stefan Weber arbeiten die Wiki-Freunde nicht gewerblich, sondern sozusagen ehrenamtlich in ihrer Freizeit.

Die erklärten Ziele sind unterschiedlich. Klicken etwa, ein promovierter Naturwissenschafter, will im Namen der Gerechtigkeit möglichst viele Hochstapler mit Doktorhut entlarven. Ähnlich möchte der Informatikdoktorand PlagDoc "den Ruf der Wissenschaft wahren." Die Professorin Weber-Wulff macht nicht zuletzt aus fachlicher Neugier mit: "Wie lernen und arbeiten Menschen miteinander in virtuellen Räumen?" Speziell im Fall des unbußfertigen Guttenberg war Goalgetters "Ziel, dass er zurücktritt". Persönliche Reibereien unter den Aufklärern bleiben nicht aus.

Anstrengend wie eine WG

"Natürlich diskutiert und streitet man sich", sagt Weber-Wulff, "manchmal wird es auch so anstrengend wie in einer Studenten-WG, in der es um den Putzplan geht." Beim Wiki geht es eher darum, wer die wirkungsvollen Kontakte zur Presse und den anderen Medien pflegt und wie.

Die Plagiat-Wikis leisten mit ihrer medialen Präsenz einen Beitrag für Klarheit und Wahrheit in den Wissenschaften, die diese offenbar selber nicht schaffen. Aktuell erweist sich das an einer bereits vor einem Vierteljahrhundert erschienenen Bonner Dissertation. Gegen die Arbeit zur Politikgeschichte wurden sofort Plagiatvorwürfe erhoben, aber von der Hochschule für unerheblich erklärt. Daran änderten auch kritische Buchbesprechungen in Fachzeitschriften nichts. Im Gegenteil, die Unis in Braunschweig und Potsdam adelten die Doktorin so gar mit dem Professorentitel. Auf Druck von Vroniplag sieht sich die Uni Bonn gezwungen, zu Beginn dieses Wintersemesters über den Doktortitel erneut zu entscheiden.

"Auf ihn!": Wie ein Schwarm auf Fehlerjagd verlinken sich in Internetforen Aktivisten, um akademische Plagiate zu entlarven. (Hermann Horstkottte aus Bonn, UniStandard, Oktober 2011)