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daStandard hat sich unter den Eltern mit Migrationshintergrund umgehört: Angst vor Benachteiligung und mangelnder Förderung bestimmen die Schulwahl. 

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In Wien-Donaustadt, unweit der berüchtigten Rennbahnweg-Siedlung, bringt Aynur K. jeden Morgen ihren Sohn in die Volksschule. Sie stammt aus der Türkei und ist Alleinerzieherin. Die ganztags beschäftigte Angestellte hat sich für diese Schule entschieden, "weil sie vor meiner Nase ist", und spricht damit eines der wichtigsten Kriterien für die Schulwahl an - die Nähe zur Wohnadresse. Sie bereut ihre Entscheidung aber bereits.

Besonders den Förderunterricht vermisst sie, das Kind ihrer österreichischen Nachbarin beispielsweise sei starker Legastheniker, aber in der Schule werde kein Förderkurs dafür angeboten. "Ich würde mir generell wünschen, dass die Kinder individuell gefördert werden. Wenn jemand nur in Mathematik nicht so gut ist, sollte man dem Kind speziellen Förderunterricht geben", meint K.

Sie selbst hatte im ersten Schuljahr mit einer Lehrerin zu kämpfen, die kurz vor Weihnachten auf die Idee kam ihren Sohn in die Vorschulklasse zu schicken. "Weil er weinte, als man ihn anschrie oder mit den Händen herumfuchtelte anstatt still zu sitzen. Aber das gab es bei anderen Kindern auch", ärgert sie sich. In der Vorschulklasse landeten bis zum Halbjahr dann 15 Schüler und Schülerinnen des ersten Schuljahrgangs. "Und nur einer davon ist ein Österreicher", erzählt K. Nach vielen Diskussionen mit der Lehrerin und der Direktorin willigte sie schließlich ein, ihren Sohn in die Vorschule zu schicken. "Mein Sohn hat anfangs jeden Tag gefragt, warum er in der Vorschule nichts lernt und sie den ganzen Tag nur spielen"

"Nicht richtig gefördert"

Aynur K. hatte sich mehr erhofft vom Vorschul-Unterricht und überlegte eine Zeit lang ihr Kind in eine andere Schule zu schicken. Weil sie aber mit seiner jetzigen Volksschullehrerin zufrieden ist, denkt sie noch nicht an einen Schulwechsel. Nach der Volksschule allerdings schon. Dann will sie ihren Sohn in eine Privatschule schicken, unter anderem weil sie nicht will, dass er in einer Klasse mit zu hohem Migrantenanteil landet. In seiner jetzigen Klasse mache der "Ausländeranteil" fünfzig Prozent aus, "quer durch die Bank, von Korea bis Indien", meint sie lachend. Das Problem sieht sie aber nicht vorrangig daran, dass nicht mehr "wie zu meiner Schulzeit nur drei Türken in der Klasse sitzen, sondern dass die Kinder nicht richtig gefördert werden."

"Ich möchte nur das Beste"

Frau S. wirkt sehr gehetzt an diesem kalten Oktobermorgen während sie sich von ihrer Tochter vor der Schule verabschiedet. Vor ihr liegt ein langer Arbeitstag und sie ist froh, dass sie ihre Tochter in einer Ganztagsvolksschule unterbringen konnte. "Ich hätte es nur schwer mit meiner Arbeit vereinbaren können, wenn meine Tochter bereits zu Mittag fertig mit der Schule wäre." Über die Nachmittagsbetreuung in einem Hort, habe sie nur Negatives erfahren. Die Kinder würden dort nicht wirklich betreut und den ganzen Nachmittag nur spielen oder herumsitzen. Auf die Frage, ob sie sich bei der Schulwahl die Frage nach dem Migrantenanteil gestellt hat, antwortet sie nonchalant: "Also bitte, wir sind hier in Ottakring!" Mit der deutschen Sprache hätte ihre Tochter keine Probleme. Von Anfang an hat sie Deutsch und Bosnisch parallel mit ihr gesprochen. "Deutsch ist aber sicher ihre stärkere Sprache und das ist derzeit auch gut so", meint Frau S.

Auch Herr M. aus Wien, Donaustadt ist stolz auf die Sprachkenntnisse seines Sohnes. "Sein Deutsch ist perfekt, Serbisch beherrscht er aber auch ausreichend". Der Achtjährige gehört bereits zu der dritten Generation und es sei selbstverständlich, dass Deutsch Priorität hat, meint M. Mit der Schulwahl ist er sehr zufrieden: "Ich bin froh, dass wir hier am Rand von Wien wohnen und ich mein Kind in einer Schule schicken kann in der nicht besonders viele Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache sind". Über die Zustände an Schulen in Ottakring oder Favoriten habe er von Bekannten oder aus Medien, "nur das Schlimmste" gehört. Woran es liegt, dass manche Kinder auch nach Kindergarten und vier Jahren Volksschule anscheinend keine ausreichenden Deutschkenntnisse haben, kann sich Herr M. nicht erklären. "Darüber soll sich die Politik den Kopf zerbrechen. Ich möchte nur das Beste für mein Kind".

Die Suche nach der idealen Lernumgebung

Auch die in Penzing wohnende Süreyya A. kann die Ängste eines zu hohen Anteils an Kindern von Migranten verstehen. Bei ihr gestaltete sich bereits die Suche nach dem idealen Kindergarten äußerst schwierig. Ihre Tochter kam mit zwei Jahren vorerst in einen städtischen Kindergarten im 14. Bezirk."Wir haben seit ihrer Geburt sehr genau darauf geachtet mit ihr nur Türkisch zu sprechen, damit sie ihre Muttersprache perfekt beherrscht. Deutsch sollte sie im Kindergarten lernen. Erst einige Zeit danach habe ich festgestellt, dass es im Kindergarten nur zwei Kinder mit deutscher Muttersprache gab. Das erklärte auch den ziemlich langsamen Fortschritt was den Spracherwerb in Deutsch betraf, meint A.

Aus diesem Grund schickte sie ihre Tochter in einen Privatkindergarten, wo sie das einzige Kind mit nicht deutscher Muttersprache war. "Innerhalb von zwei Monaten haben wir gemerkt wie ihre Sprachkenntnisse regelrecht explodiert sind." Um ihrem Kind einen ähnlichen Wechsel im Schulalter zu ersparen, macht sich A. bereits jetzt auf die Suche nach einer geeigneten Volksschule. "Ich wohne in Penzing, an der Grenze zu Hietzing. Ich habe mir auch einige nette Volksschulen in Hietzing angesehen. Leider gibt es bei den Volksschul-Anmeldungen die Regelung, dass zuerst Kinder in der näheren Umgebung genommen werden müssen. Somit hatte ich keine Garantie, dass meine Tochter einen Platz in der gewünschten öffentlichen Volksschule in Hietzing erhält und habe mich deshalb nach Privatschulen umgesehen", berichtet sie.

Zu viel Religion an Privatschulen

Süreyya A. wunderte sich allerdings über den religiösen Hintergrund bei vielen Wiener Privatschulen. "Ich finde, dass Religion in diesem Ausmaß keinen Platz an einer Schule haben sollte. Außerdem wollte ich nicht, dass mein Kind womöglich als einzig nicht-christliches Kind in einer Klasse zum Außenseiter wird." So machte sie sich weiter auf die Suche nach einer Privatschule, die sich nicht über Religion definiert. Fündig wurde sie schließlich an einer Privatschule in Wien-Wieden, wo sie mittlerweile die Tochter auch in den Kindergarten schickt.

Vor allem das pädagogische Konzept gefällt ihr besonders. "Dort gibt es ein kunterbuntes Gemisch von Menschen und Sprachen. Der internationale Mix gefällt mir sehr gut. Jede Sprache und die Vielfalt wird geschätzt. Mein Kind wächst in einer Umgebung auf, wo sie nicht als Migrantenkind abgestempelt wird. Ich hoffe sehr, dass sie dort glücklich sein wird." Für A. kommt es aber letztendlich auch auf die Lehrer an, die ihre Tochter in der Volksschule haben wird. "Da muss die Chemie einfach passen."

In Wien Meidling passt die besagte Chemie leider nicht: "Ich bin unzufrieden", sagt Baris Sari kurz vor acht Uhr früh, während der das Volksschulgebäude verlässt. Bei der ersten Gelegenheit werde er seinen Sohn in eine andere Schule schicken. Die aktuelle Schule in Wien Meidling, die sein Sohn besucht, passe nicht. "Erst letztens wieder hat die Lehrerin mein Sohn eine dreiviertel Stunde stehen lassen, weil er nach der Pause noch gegessen hat", so Sari.

Glücksspiel um gute Lehrer

Auch seine ältere Tochter ist in diese Schule gegangen. Er und seine Frau haben sich beim Kindergarten schlau gemacht, welche Schule wohl die passendste für die Kleinen sei. Damals war er noch sehr zufrieden. Die Lehrerin war engagiert und setzte sich ein. Der Tochter hat es auch Spaß gemacht. "Ein Glücksspiel", sagt Sari. Wie eine Lehrerin wirklich ist, zeige sich erst später. Es gebe eben solche und solche. Er scheint jedenfalls ganz genau zu wissen, was die neue Volksschule bieten muss. "Eine Lehrerin, die sich bemüht, dass alle Kinder mitkommen. Sie darf ruhig streng sein, aber übertriebene Strafen, weil jemand etwas falsch macht, gehen nicht."

Ein so genannter "Ausländeranteil" ist für ihn jedenfalls kein Kriterium bei der Auswahl der Schule. Kinder müssen schon früh sehen, dass es verschiedene Kulturen und Herkunftsländer gibt. Das entspricht ja auch der Realität, in der wir leben", so Sari. Er sieht sogar die Gefahr von Rassismus, wenn man die Jüngsten unserer Gesellschaft von anderen Kulturen zu isolieren versucht. "Es gibt in Wien nun einmal viele Migranten. Das ist normal und genau das sollen auch die Kinder sehen und verstehen." (Güler Alkan, Yilmaz Gülüm, Olivera Stajić, 11. Oktober 2011, daStandard.at)