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2009 wurde Otto Tausig der Nestroy-Preis für sein Lebenswerk verliehen.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Wien - In seiner letzten großen Theaterrolle als Schnoferl gab Otto Tausig 1999 in Nestroys Mädel aus der Vorstadt einen "Winkelagenten": einen verschmitzten, liebenswürdigen Herrn, den eine nur mühsam gebändigte Unrast zu Ausbrüchen der Hochkomik verleitete.

Da war der Wiener Weltschauspieler Tausig gerade dabei, zum allerletzten Mal das Fach zu wechseln: Im Anschluss an jede Vorstellung im Wiener Volkstheater sammelte der Schauspieler höchstpersönlich Geld für den Entwicklungshilfeklub. Noch als er 2009 endlich für sein Lebenswerk mit dem "Nestroy"-Preis geehrt wurde, verabsäumte es der Komödiant und Humanist nicht, den Spendenkorb kreisen zu lassen.

Famose Darstellungskunst

Es schien, als wäre ihm selbst der hochverdiente Applaus lästig geworden: Tausigs Schauspielerleben wurde aus den besten Absichten heraus uneigentlich. Er mobilisierte seine ganze famose Darstellungskunst, um die Menschen zu tätigen Proben der Mildtätigkeit zu verleiten.

Sprach man Tausig auf sein reiches Theaterleben an, winkte er sofort bescheiden ab: Er nehme die Gagen gerne entgegen, um sie in die Entwicklungshilfe zu investieren.

Dass man ihm, dem ingeniösen Charakterschauspieler, ausgerechnet in seiner Heimatstadt Wien, der Zentrale der theatralischen Selbstverblendung, wiederholt übel mitgespielt hatte, überging Tausig geflissentlich. Tausig war 1939 in die Emigration gegangen: In England schuftete er als Land- und Fabrikarbeiter.

Aus dem jüdischen Bürgerspross wurde ein überzeugter Marxist. Als er nach dem Krieg, nach erfolgreicher Absolvierung des Max-Reinhardt-Seminars, an das Neue Theater in der Scala wechselte, wurde erst allmählich klar, dass es mit einer allerersten Karriere im Land der Brecht-Boykotteure Friedrich Torberg und Hans Weigel nichts mehr Rechtes würde.

Kommunisten waren nicht nur verpönt, man schlug linke Parteigänger bedenkenlos dem Totalitarismus zu. Vergessen waren Tausigs Arbeitserlebnisse mit Bertolt Brecht (Brecht war bekanntlich Österreicher!), das Erproben jener Modelle, die die Menschen zum Begreifen und tätigen Ändern ihrer Lage befähigen sollten.

Das Scala-Theater scheiterte. Die Versuche, eine linke, nicht-repräsentative, gleichwohl kulinarische Theaterkunst zu etablieren, wurden mit der Ablehnung der Russen als "Besatzer" entsorgt und erledigt.

Ab 1956 fand Otto Tausig immerhin am Deutschen Theater Wolfgang Langhoffs in Berlin Zuflucht: Dort spielte er mit jenen Emigranten, die den Nazi-Terror in Zürich überdauert hatten und vielfach das bessere Europa verkörperten.

Geerdeter Ton

Ganz allmählich erholte sich Tausigs Arbeitsvita auch in seiner Heimat: Sein geerdeter Ton, seine intellektuell unterfütterte Volksnähe, seine listiger Dialogton wurden zu Atouts auch des Wiener Burgtheaters, dem er von 1970 bis 1983 endlich angehörte.

Bleiben werden auch Tausigs irrlichternde Film- und Fernsehauftritte, etwa in der Verfilmung von Robert Schindels Gebürtig. Sein Leben gehörte aber in den letzten Jahren den Unterdrückten: Tausig erzählte dann von indischen Kindern, die Teppiche knüpften und deren Finger über der skandalösen Fron zuschanden gingen.

Obwohl seine Stimme fest blieb, spürte man in solchen Augenblicken den Widerstandsgeist eines Künstlers, der oft resignativer wirkte, als er in Wirklichkeit war. Jetzt ist Otto Tausig nach langer, schwerer Krankheit im Kreise seiner Familie 89-jährig in Wien gestorben. (Ronald Pohl, STANDARD-Printausgabe, 11.10.2011)