Frankfurt - In dem Generationenroman In Zeiten des abnehmenden Lichts wagt Autor Eugen Ruge einen Schritt zurück: Ein vielleicht allerletztes Mal wird das Alltagsleben der DDR behutsam unter die Lupe genommen.
Mit dem versonnenen Abgesang auf fast 90 Jahre kommunistisches Engagement traf der gelernte Drehbuchschreiber Ruge (57) offenbar einen Nerv: Er fühlt der linken Gesinnung auf den Zahn. Sein soeben mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneter Roman verdankt den realen Schrecken der DDR wenig, dem Geist der Versöhnung hingegen viel. Und so wird man nicht schlau aus dieser Bestandsaufnahme des allmählichen Hinwelkens: War es den deutschen Antifaschisten vorherbestimmt, in einer Staat gewordenen Laubenkolonie zu verrotten?
Verständlicher wird die Betulichkeit dieses autobiografisch getönten Buches allenfalls mit Blick auf Ruges Familiengeschichte. Vater Wolfgang gehörte zur Wissenschaftselite der DDR. Der in der KPD engagierte Jungkommunist wanderte 1933 prompt in die Sowjetunion aus, wo er Gefahr lief, den abrupten Kehrtwendungen der stalinistischen Politik zum Opfer zu fallen.
Wolfgang Ruges Bruder wurde verhaftet, den Vater verfrachtete man zurück nach Nazi-Deutschland. Vollends mit der Schließung des Nichtangriffspaktes zwischen Hitler und Stalin gerieten die verdienten Kader der "Kommunistischen Internationale" in das Mahlwerk der Dialektik: Was noch vorgestern gut und richtig schien, konnte bereits tags darauf den Treuesten der Treuen Kopf und Kragen kosten.
Als das Deutsche Reich 1941 die Sowjetunion überfiel, wurde Ruge, nunmehr ein Todfeind im Inneren, nach Kasachstan deportiert, von dort in den Nordural geschickt. Die furchtbaren Entbehrungen kehren wieder in Eugen Ruges geringfügig verfremdeter Familienchronik: Sie bilden den Erfahrungshorizont, vor dem die Treue zur "Sache" des Kommunismus erst verständlich wird. Und Rätsel aufgibt.
Der Preis der ideologischen Verrenkungen ist hoch: Wolfgang Ruge widmete sich als Mitglied der Akademie der Wissenschaften der Erforschung des Hitler-Nazismus in der Weimarer Republik. Seine Lebenserinnerungen, erschienen 2003 (Berlin-Moskau-Sosswa), sie mögen Sohn Eugen als Arbeitsgrundlage gedient haben. Die Denkfigur aber ist die eines nicht aufzuhebenden Widerspruchs: Wie konnten die klügsten Köpfe der DDR von der Überlegenheit des Marxismus überzeugt bleiben, wo doch die konkreten Erfahrungen mit einem schlecht geführten Staat der Idee hohnsprachen?
Eugen Ruges Buch hält sich mit solchen Überlegungen kaum auf. Es gießt das milde Licht der Komik über Funktionärsfiguren, die aus Anlass runder Geburtstage Blechmedaillen an die antifaschistische Brust geheftet bekamen. Vergessen scheint, dass erst 2010 aus dem Nachlass Wolfgang Ruges (1917-2006) eine Lenin-Biografie das Licht der kapitalistischen Welt erblickte.
In dieser bedenkenswerten Studie (Lenin. Vorgänger Stalins. Eine politische Biografie, bei Matthes & Seitz) wird über den Ahnherrn der Oktoberrevolution ein desaströses Urteil gefällt: Lenin war nicht nur ein Terrorist, sondern der unduldsame Erfinder der modernen Funktionärspartei. Und Wolfgang Ruge wusste nur zu gut, wovon er schrieb. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe 12. Oktober 2011)