Herbert Stepic schläft gut, weil Osteuropa nach wie vor das Wachstumsgebiet für Europa sei und es der Raiffeisen Bank International den Umständen entsprechend gut gehe. Der Vorstandsvorsitzende meint im Gespräch mit Hans Rauscher, dass Osteuropa nicht per se schlecht sei, nur Ungarn bilde eine Ausnahme. In allen anderen Ländern gehe es gut bis sehr gut. Seine Bank hätte außerdem nicht die Probleme wie die Erste Bank. Selbst in Ungarn seien die Probleme überschaubar: „Wir rechnen, dass aus der letzten Maßnahme, der Zwangskonvertierung von Fremdwährungskrediten, 100 Millionen Schaden entstanden sind.“

Auf die Frage, ob man in Ungarn überhaupt noch Geschäfte machen kann, räumt Stepic ein, dass die österreichischen Banken hier schon getroffen werden. Die Regierung von Premier Viktor Orban hat für Stepic mit der Zwangskonvertierung einen entscheidenden Fehler gemacht. Dadurch würde das Zinsniveau im Land steigen und das Wirtschaftswachstum entschleunigt werden. Der Schaden dieser Maßnahme würde viel größer sein als die Einnahmen, die man sich von der geringen Anzahl der ganz Reichen verspricht. Die Konsequenz: „Jeder Neuinvestor wird sich sehr überlegen, ob er in dieses Land geht.“

Fremdwährungskredite als politische Frage

Ob Fremdwährungskredite in einem Land gestatten werden, hänge ganz von einem Regulator ab. Die Mehrzahl davon ist für die Finanzierung von Häusern, Grundstücken und Wohnungen verwendet worden. Der Grund, warum diese Kredite in Ungarn nicht verboten wurden: Weil man das Tempo des Transformationsprozesses vom alten kommunistischen System an das westliche freie System nicht entschleunigen wollte. „Das war eine ganz essentielle Entscheidung der Politik.“ In Polen und Rumänien hätte man die Fremdwährungskredite beispielsweise konditioniert und die Höhe des Kredites an die Leistungsfähigkeit der Rückzahlung der Bürger gebunden. „Fremdwährungskredite sind nichts Schlechtes, aber die Konditionen, die mit der Vergabe verbunden sind, machen den wesentlichen Unterschied aus.“ Ob Raiffeisen in Ungarn zu viel derartiger Kredite vergeben hat, beantwortet Stepic mit der Gegenfrage: „Was ist zu viel?“

Die lange Nicht-Problembewältigung als Problem

"Ich würde meinen, dass das eine Worst-worst-Case-Interpretation ist", kommentiert der Raiffeisen-Boss die Aussagen von EZB-Präsident Trichet  und einem möglichen Totalkollaps des Finanz- und Bankensystems. Es sei unwidersprochen, dass man es mit einer Krise einzelner Eurostaaten zu tun habe. Auch hier müsse man jedoch wie bei Osteuropa differenzieren. Die eigentliche Krux dabei sei die Dauer der Problemlösung. "Und Zeit ist etwas, was das internationale Finanzsystem überhaupt nicht kennt. Dieses entscheidet sofort, ist global und unheimlich rasch." Raiffeisen Bank International hätte den Vorteil, dass man mit der Konzentration auf Osteuropa besser dastehe, weil es hier deutlich besser laufe als im EU-Europa – mit Ausnahme von Ungarn.

Ein Vergleich mit den 1930-er Jahren gefällt Stepic gar nicht. „Darüber bin ich extrem unglücklich, weil dieser Vergleich die Bevölkerung, die naturgemäß mit volkswirtschaftlichen Belangen nichts am Hut hat und sie auch großteils nicht versteht, verunsichert.“ Die Situation von heute sei mit der damaligen nicht vergleichbar.

Kein Run auf die Banken

"Einen Run auf die Banken wird es keinesfalls geben, weil es kein Land in Europa gibt, das nicht die Spargelder garantiert“, beruhigt Stepic. Ein Lösungsmodell für die Krise müsste mehrere Facetten haben. Über einen Haircut, einen Schulden-Nachlass, werde man nicht hinwegkommen. Dieser müsste für Griechenland deshalb bei 60 oder 70 Prozent liegen, weil die Verschuldung in Relation zu anderen Ländern und zum Bruttonationalprodukt eindeutig zu hoch sei. Um Griechenland zu sanieren, ohne es zu Tode zu sparen, sei die Privatisierung von Staatsvermögen "ganz wesentlich". Hier seien mittelfristige Maßnahmen zu setzen, wofür sich der Garantiefonds der EU anbieten würde. Weiters brauche es strukturelle Verbesserung in der Sozialpolitik.

Ein wesentlicher Punkt seien auch langfristige Maßnahmen, die quasi in die Autorität der Regierung und in die Entscheidungsfähigkeit des Landes eingreifen. "Man wird sonst zu leicht Nachahmer finden." Dies sei keine Entmündigung, sondern wenn man eine gemeinsame Währung nutzen möchte, wird man sich zu Maßnahmen verbriefen müssen und wenn man diese nicht einhält, auch die Konsequenzen tragen.

Die Schuldfrage

Stepic weist von sich, dass an der aktuellen Krise die Banken schuld seien. Nicolas Sarkozy habe den französischen Banken bis vor zwei Monaten geraten, griechische Anleihen zu kaufen, auch das österreichische Finanzministerium habe dazu geraten, sich nicht aus Griechenland zurückzuziehen. Dies seien politische Maßnahmen, die stark in das volkswirtschaftliche System eingreifen. Stepic: "Daher handelt es sich auch nicht um eine Bankenkrise, sondern es ist eine politische Krise. Es ist eine Krise von Ländern. Die Banken, die letztlich das Blut dazwischen sind, der Geldverkehr, das ist der, der am meisten beeinträchtigt sind." Daher müssten die Banken auch wieder rekapitalisiert werden, wenn sie ein hohes Maß an Forderungsverzicht leisten sollten oder müssten, weil sie ansonsten ihrer Funktion, den Blutkörper-Kreislauf aufrecht zu erhalten, nicht mehr nachkommen könnten.

"Wir brauchen das nicht", sagt Stepic zu einer eventuellen Staatshilfe durch Österreich. "Wir sind ausreichend kapitalisiert und sehen deshalb keine Veranlassung zur Finanzministerin zu gehen." (rasch, derStandard.at, 12.10.2011)