Der junge Mann, der zwei Monate vor seinem 20. Geburtstag verschwunden ist, ist Israels bekanntester Unbekannter. Seit mehr als fünf Jahren ist Gilad Shalit allgegenwärtig, auf Fähnchen bei Demonstrationen, Postern in Klassenzimmern, T-Shirts oder auf lebensgroßen Pappkartons. Sein Name wurde bei jeder Gelegenheit erwähnt - in politischen Reden, bei jedem Schulabschlussfest, von Radio- und Fernsehmoderatoren, die täglich vorzählten, wie viele Tage Shalit schon in Gefangenschaft war. Auch die Gesichter seiner Eltern Aviva und Noam kennt jeder Israeli.

Der Ingenieur Noam Shalit, von Natur aus kein großer Redner und eher introvertiert, hat es in den bitteren Jahren des Kampfes um seinen Sohn gelernt, mit den Medien umzugehen, bei Versammlungen aufzutreten und mit Politikern und Botschaftern in Augenhöhe zu verkehren. Insbesondere Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat sich immer wieder für den Entführten eingesetzt, weil die Shalits auch französische Staatsbürger sind.

Ein etwas plastischeres Bild von Gilad Shalit erhielt man durch eine 2:40 Minuten lange Videoaufnahme, die von seinen Entführern im Oktober 2009 herausgegeben wurde. Schon damals handelte es sich um ein Tauschgeschäft - als "Bezahlung" für das Lebenszeichen ließ Israel 20 weibliche palästinensische Häftlinge frei. In einer gebügelten grünen Uniform vor einer weißen Wand sitzend, las Shalit, manchmal scheu aufblickend, eine Botschaft von einem Blatt. "Ich hoffe, dass die gegenwärtige Regierung unter Benjamin Netanjahu nicht die Gelegenheit versäumen wird, den Handel abzuschließen, sodass ich meinen Traum wahrmachen und freikommen kann", hieß es darin. "Ich fühle mich gesundheitlich gut", sagte Shalit am Ende, "die Mujahedin von Isedin el-Kassam", also die heiligen Kämpfer des bewaffneten Arms der Hamas, "behandeln mich ausgezeichnet."

Von einer Verletzung, die Shalit beim Beschuss seines Panzers am 25. Juni 2006 erlitten haben soll, war nichts mehr zu sehen. Ein Hamas-Kommando war damals beim Übergang Kerem Shalom durch einen unterirdischen Tunnel auf die israelische Seite gelangt. Zwei israelische Soldaten und zwei Angreifer wurden getötet, Shalit wurde in den Gazastreifen verschleppt.

Jetzt können die Shalits endlich das Protestzelt vor der Residenz des Premierministers in Jerusalem abbrechen. (Ben Segenreich/DER STANDARD, Printausgabe, 13.10.2011)