Paul Wolfowitz, neokonservativer Vordenker des Irakkriegs, hält die Wahrheit für zumutbar: "Aus bürokratischen Gründen" habe man sich auf die Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund festgelegt.

Achtung, das heißt nicht automatisch, dass es im Irak solche Waffen, die nachweislich bis zum Golfkrieg 1991 produziert wurden, nicht mehr gibt: Noch immer können einschlägige Funde gemacht werden - deren Relevanz allerdings dann nüchtern beurteilt werden müsste, was man den USA leider nicht mehr zutrauen kann. Aber es heißt, dass das Bedrohungsszenario, mit dem für den Krieg argumentiert wurde, wenig mit echter Information und viel mit politischer Propaganda zu tun hatte. Höflich gesagt.

Kommt in den üblichen Verschwörungsszenarien meist den Geheimdiensten die Aufgabe des Intriganten und Manipulators zu, so war es diesmal offensichtlich umgekehrt: Die Politik hat sich diejenigen Gutachten zu verschaffen gewusst, die ihr ins Konzept passten. Aber war es sorgenvolle Fehleinschätzung oder bewusste Täuschung, oder besser: Bei wem war es Fehleinschätzung, bei wem Täuschung? Wie viel wusste US-Außenminister Colin Powell, als er mit seinen gefälschten Beweisen vor die UNO ging, wie viel der britische Premier Tony Blair, als er von der Gewissheit von in 45 Minuten einsetzbaren B- und C-Waffen sprach?

Das Kalkül ging bekanntlich auf, die akute Bedrohung durch ein Regime, dessen Gräueltaten man ja kannte, war ein Killerargument, das auch Kriegsgegnern den Mund stopfte. Den von Condoleezza Rice an die Wand gemalten "Atompilz über den USA" konnte jeder, der nur halbwegs informiert war, belächeln, nicht aber die Vision eines chemischen oder biologischen Angriffs auf Israel.

Dann kam der Kriegsbeginn: Das Warten auf den Einsatz von B- und C-Waffen und verbotenen Raketen war begleitet von einigen marktschreierischen medialen Falschmeldungen, die ein gewisses Wunschdenken von Schreibern - und Lesern - ausdrückten. Aber immerhin hatten die USA zuvor verkündet, dass Saddam vor dem Krieg im Süden des Irak Biowaffen hatte aufstellen lassen, später sprach man von einer "roten Linie" um Bagdad herum.

Diese Behauptungen werden jetzt ganz klar konterkariert von der von US-Offiziellen propagierten Version, die Waffen könnten am Vorabend des Krieges zerstört worden sein. Was denn nun: aufgestellt oder zerstört? Der Gedanke, dass Saddam Hussein die Vernichtung seiner verbotenen Waffen in letzter Minute angeordnet haben könnte, um sozusagen als moralischer Sieger in die ewigen Jagdgründe eingehen zu können, klingt für "Saddamologen" wenig überzeugend: Saddams historischer Ehrgeiz hatte ein anderes Zielpublikum als den Westen, außerdem war sein Unrechtsbewusstsein, was den Besitz und die Produktion von Waffen betraf, die anderen Ländern von den USA sehr wohl zugestanden werden, ganz bestimmt nicht besonders ausgeprägt - das gilt ja bekanntlich auch für andere Länder in der Region.

Und wenn doch, nach einem plötzlichen Sinneswandel, die Zerstörung von für den Einsatz bereits vorbereiteten Waffen stattgefunden hätte, dann wären zumindest Spuren davon entdeckt worden (sie sind noch Jahre später nachweisbar). Es wird danach seit Ende März von zunehmend frustrierten US-Spezialteams gesucht, die sich nicht mit Hinweisen auf mögliche Programme - etwa die berühmten mobilen Labors - zufrieden geben können.

Denn Bush hat ihnen - und uns - Waffen versprochen. "Wir werden den Irak abrüsten", mit diesem Satz wurden wir ad nauseam gefüttert. Und die nun ebenfalls aufs Tapet gebrachte Erklärung, Saddam Hussein hätte seine Waffen vor der Ankunft der Waffeninspektoren von Unmovic und Atomenergiebehörde zerstören lassen, ist nun ein ganz und gar zweischneidiges Schwert. Das hieße nämlich nichts anderes, als dass die UNO-Waffeninspektionen funktioniert haben. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.5./1.6.2003)