Die "saubere" Beziehung zur blassen Freundin Gudrun scheitert an der kalkulierten Lebens-Liebes-Gleichgültigkeit, das Versprechen einer gemeinsamen Zukunft ist ein Bankkonto, das aufgelöst wird. "Danach sahen wir uns nicht wieder", zieht das 4. Kapitel lakonisch diesen Schlussstrich. Den ihren zieht die geheimnisvolle Journalistin Linda, die Weigand in die Frühsechziger-Boheme einer deutschen Stadt einführt, selbst und erhängt sich: Das 6. Kapitel schildert ihr Begräbnis in einem Dorf an der Nordsee. Und so hat der Schreiberlehrling nach acht Kapiteln zwar sein Doppelleben beendet, jedoch nur eines seiner Titelziele erreicht. Nur weil sich ein junges Ich bemüht, "erwachsen" zu werden, lässt sich der schmale Band von Wilhelm Genazino noch nicht mit Fug als "klassischer Entwicklungsroman" bezeichnen, wie dies der Klappentext vormacht. Es sind vielmehr - knapp und gut arrangiert - Episoden und Bilder einer Epoche geschildert, für die die Sicherheiten und Verwirrungen eines jungen Mannes, seine Bemühungen und Beobachtungen bezeichnend sein mögen. Die nüchterne Erzählweise mit ironischen Einsprengseln und dem bisweilen administrativ angespielten Tonfall hat schon zum Erfolg von Genazinos Abschaffel-Trilogie in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre beigetragen; damals hat der "sanfte Ironiker" Fluchten aus der Angestelltenwelt dargestellt.
In Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman nehmen die Beschreibungen der beiden beruflichen Tätigkeiten viel Raum ein, das Verladen von Speditionsware und die Reportagemühen von lokalen Denkwürdigkeiten wie von jenem Je-Ka-Mi-Wettbewerb ("Jeder kann mitmachen"), der die ganze Gesellschaft auf eine ironische Bühne bringt: lauter Dilettanten und Imitatoren, die Schlager nachsingen, von Rex Gildo bis Freddy Quinn. Den anderen, freilich im Grunde ähnlichen Pol im Diskurs-Doppelleben bilden Weigands "Großvorträge", in denen er an Gudruns Ohr vorbei Äußerlichkeiten als Literatur-Geschichten referiert. Diese kleinbürgerlichen Privatreportagen wollen erklären, warum Thomas Mann das Abitur nicht geschafft hat oder warum Joseph Roth Alkoholiker war, und kommen mehrmals auf Kafka zurück, als könne die Sechzigerjahre-Welt kafkaesk gedeutet werden. Die künstlerische Aufbruchsstimmung der Zeit lassen die Gespräche mit Linda, die ihrerseits auf Joseph Conrad setzt, erstehen: über den Roman, den es zu schreiben gelte, über die "Unübersichtlichkeit des Lebens" und die "Übersichtlichkeit" der Literatur. Diese vermag der Journalistin jedoch letztlich nicht zu helfen. Weigand hingegen kann sich bei heiklen Situationen an Wörter und Details in einem "Draußen" halten.