Dank der agrikulturellen Vorleistungen vieler Generationen unserer ländlichen Ahnen dürfen wir – noch – auf einen reichen Fundus an Sorten und Arten zurückgreifen – vom Gemüse über Obst bis zum Getreide -, die sich über lange Zeiträume hinweg an spezifische Standortbedingungen angepasst haben und hervorragend ohne Kunstdüngerschnickschnack und Mehltauspray auskommen. Jeder, der irgendwann einmal Samen im Erdboden versenkt hat, weiß, dass jede Pflanzenart, sogar jede ihrer Sorten bestimmte Substrate, Bodenbedingungen, Lichtverhältnisse, Wassergaben et cetera benötigt, um ohne Pestizid und Kunstdüngergabe gedeihen zu können.

An jedem Ort wächst sozusagen das rechte Kraut, doch in Zeiten der multinationalen Samenkonzerne verliert sich diese Vielfalt in Gemüsegarten, Obstbaumhain und Kornfeld zugunsten hochgezüchteter Hybride und anderer Glashausgeschöpfe.

Die Verarmung in Garten und Obstregal ist eine Unkultur

Die Verarmung in Garten und Obstregal ist eine Unkultur, zu deren Bewusstwerdung ein Verein namens Arche Noah im vergangenen Jahrzehnt maßgeblich beigetragen hat: Seit 1990 suchen und erhalten die im niederösterreichischen Schiltern ansässigen Noahs vom Aussterben bedrohte Kürbis-, Bohnen-, Erdäpfel-und zahllose andere Sorten.

Denn, so ein Zitat aus der Vereinsschrift: "In den letzten Jahrzehnten verschwanden Hunderte von Kulturpflanzensorten vom Markt und aus den Gärten. Alte Sorten und lokale Herkünfte von Gemüse, Ackerpflanzen und Obst, die von Generationen von HausgärtnerInnen und Züchtern entwickelt wurden, stellen einen unwiederbringlichen kulturellen und ökologischen Reichtum dar."

Erhalten, soweit sie nicht endgültig verschwunden sind

"Sie zu erhalten, soweit sie nicht endgültig verschwunden sind, ist eine wichtige Aufgabe, an der jede/r durch den Anbau, die Vermehrung und den Austausch gefährdeter Sorten mitwirken kann. Arche Noah motiviert und unterstützt Menschen, denen die Erhaltung und Verbreitung der Kulturpflanzenvielfalt ein Anliegen ist. Wir wollen den Stein ins Rollen bringen, damit gefährdete Sorten auf Äckern und in Gärten, aber auch auf Märkten und in der Gastronomie in Zukunft wieder zu finden sind."

Der Verein zählt mittlerweile etwa 6000 Mitglieder, "vom pensionierten Universitätsprofessor über den Osttiroler Bauern bis zur Hausgärtnerin", berichtet Ko-Geschäftsführerin Sabine Laz. Viele Mitglieder betätigen sich als so genannte Erhalter, sie produzieren im kleinen Rahmen Saatgut und tauschen es untereinander aus. Im jährlich erscheinenden Saatgutkatalog können sich Noch-Unkundige darüber informieren, was hier an Sämereien eigentlich alles zur Verfügung steht, so man erst einmal die rechten Quellen kennt.

Samenarchiv mit an die 6000 Sorten

Der Verein selbst pflegt ein Samenarchiv mit an die 6000 Sorten, organisiert Seminare und Pflanzenbörsen und betätigt sich an Forschungsprojekten, etwa wenn es um die Erfassung alter Erdäpfelsorten geht. Öffentliche Förderung gibt es ausschließlich für Projekte wie das letztgenannte sowie für Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit, nicht aber für das Arche-Kerngeschäft, die aufwändige Samenerhaltung. Die Vielfalt sei letztlich nur durch Nutzung aufrecht und damit lebendig zu erhalten, sagt Lez, und da die Arche Noah als Verein gemeinnützig ist, ist man auf die Selbstorganisation der Mitglieder angewiesen – und die funktioniert gut.

Die Samenerhalterorganisation von Schiltern ist vom Geheimtipp mittlerweile zu einer regelrechten Anlaufstelle für all jene geworden, die auf Geschmack statt Masse setzen und sich etwa nicht mit den drei, vier im Supermarkt angebotenen Apfelsorten zufrieden geben wollen. Den sehenswerten Arche-Noah-Schaugarten in barockem Rahmen (geöffnet von Mitte April bis Mitte Oktober) besuchen an die 20.000 Gartenfreunde pro Jahr, allein am bereits traditionellen Pflanzentauschtag, dem 1. Mai, reisen regelmäßig bis zu 5000 Leute an.

Auch in Deutschland, England und der Schweiz haben sich mit "Vern", "Henry Doubleday Research Association" (HDRA) und "Pro Specie Rara" ähnliche Organisationen etabliert, die lokale Gartenschätze horten, vermehren, wieder bekannt machen, nach Möglichkeit verbreiten – in anderen Ländern etablieren sie sich gerade erst. Übrigens – wer mit den Begriffen Ogrosl, Umurken und Zigeuner nichts anfängt: Es handelt sich um Stachelbeeren, burgenländische Gurken und eine Apfelsorte mit rotem Fruchtfleisch. (Von Ute Woltron, DER STANDARD Printausgabe 31.5.2003)