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Gefängnis in Tripolis, 14. September 2011

Foto: Reuters/Suhaib Salem

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Flüchtlinge aus Tawargha in der Nähe von Sirte

Foto: AP/dapd/Bela Szandelszky

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Gefangene aus der Ukraine und dem Tschad, Tripolis, 3. September

Foto: AP/dapd/Francois

Im Mai versprach Mustafa Abdul Jalil, der Vorsitzende des libyschen Übergangsrates, Vertretern der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die in ihrem kurz zuvor veröffentlichten Bericht erhobenen Vorwürfe gegen die damaligen Rebellen würden genau geprüft. Die NGO hatte gefordert, dass Kämpfer und Selbstschutzgruppen, die für "schwere Menschenrechtsverletzungen, mögliche Kriegsverbrechen eingeschlossen", verantwortlich seien, zur Rechenschaft gezogen werden.

Mitte September, berichtet die Menschenrechtsorganisation, war dieses Versprechen weiter uneingelöst. In Interviews mit etwa 300 Gefangenen in elf Lagern wurden zahlreiche Übergriffe der Anti-Gaddafi-Milizen dokumentiert. So gestanden Gefängniswärter, regelmäßig Folter anzuwenden, um schneller „Geständnisse" zu erreichen.

Ein 17-Jähriger Tschader, mit dem die Amnesty-Vertreter sprachen, berichtete, er sei so lange geschlagen worden, bis er gestand, Libyer getötet und Libyerinnen vergewaltigt zu haben. In einem improvisierten Gefangenenlager sahen die Ermittler Folterwerkzeuge, in einem anderen könnten sie mithören, wie jemand ausgepeitscht wurde. "In einigen Fällen gibt es klare Anzeichen für Folter, um Geständnisse zu erpressen oder als Bestrafung", so Amnesty.

Während der Ermittlungen, die von 18. August bis 21. September dauerten, besuchte das Amnesty-Team improvisierte Gefangenenlager in Schulen und auf Fußballplätzen. Allein nach der Einnahme der Hauptstadt Tripolis wurden 2500 Menschen, großteils ohne Angabe von Gründen, festgenommen. Manche Gefangenen wurden nach der Festnahme in die Beine geschossen, um Fluchtversuche zu verhindern.

Rassistische Übergriffe

Das Amnesty-Team berichtet, dass die Stadt Tawargha, wo viele dunkelhäutige Libyer lebten, bei ihrem Besuch am 16. September menschenleer war. Die Rebellen hatten die Bewohner vertrieben und ihnen mitgeteilt, sie sollten „zurück nach Afrika" gehen, weil im „neuen Libyen" kein Platz für sie sei.
Viele Bewohner Tawarghas flohen nach Tripolis, wo ihr Camp jedoch gestürmt wurde. Die Milizen nahmen 70 Männer und Jugendliche mit und stellten den Flüchtlingen ein Ultimatum, die Stadt zu verlassen.

Berichte über Vergewaltigungen

Die Ermittler sprachen mit 50 weiblichen Gefangenen. Zwei davon berichteten, vergewaltigt worden zu sein, viele erzählten von Schlägen und Beleidigungen. Amnesty kritisiert, dass die Frauen entgegen der von der UNO festgelegten Minimalstandards nicht von Gefängniswärterinnen, sondern von Männern bewacht werden.

Amnesty fordert den Übergangsrat in einem neuen, am Mittwoch veröffentlichten Bericht auf, eine Reihe von Maßnahmen durchzuführen, um Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Auf der Liste steht unter anderem die Forderung, die neue Regierung müsse einräumen, dass Berichte über den Einsatz von Söldnern durch den gestürzten Diktator stark übertrieben waren.

Außerdem mahnt die Menschenrechtsorganisation ein, dass Minderjährige nicht gemeinsam mit Erwachsenen eingesperrt werden sollten und fordert Ermittlungen gegen Milizionäre, die Übergriffe begangen haben. Dafür solle der Übergangsrat nötigenfalls internationale Unterstützung in Anspruch nehmen.

"Verhaltensmuster der Vergangenheit"

Es sei ein großes Risiko zu erkennen, dass "Verhaltensmuster der Vergangenheit wiederholt" würden. "Willkürliche Festnahmen und Folter waren ein Kennzeichen der Herrschaft von Oberst Gaddafi", sagte Hassiba Hadsch Sahraoui, der stellvertretende Amnesty-Chef für den Nahen Osten und Nordafrika. "Wenn die Übergangsbehörden jetzt nicht einen klaren Schlussstrich unter die Methoden der Vergangenheit ziehen, senden sie praktisch die Nachricht aus, dass eine solche Behandlung von Gefangenen im neuen Libyen toleriert wird."

Jalal al-Galal, Sprecher des Übergangsrates, beteuerte gegenüber Reuters, Mustafa Abdel Jalil habe „immer wieder betont, dass er Übergriffe gegen Gefangene nicht toleriert" und „deutlich gemacht, dass solche Vorwürfe untersucht werden". Jalil diente unter Gaddafi als Justizminister. (bed/derStandard.at, 13.10.2011)