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Eine Bank ist eine Bank ist eine Bank und kein Seerosenteich. Trotzdem geht es auch hier - zumindest bei der Sparda Bank München - um Naturtalente, Selbstfindung und um Menschenwürde.

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Helmut Lind: "Am Anfang wurden ich und mein Vorgänger oft belächelt. Nach dem Jahr 2008 hat sich das verändert"

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Dieser Tage legte der Chef der Sparda Bank München eine Jahresbilanz vor, in der Kennzahlen wie Zinsertrag, Eigenkapitalrendite und Dividende nicht vorkamen. Die ehemalige Eisenbahner-Bank, die heute auf knapp 670 Mitarbeiter und 240.000 Mitglieder angewachsen ist, ist der größte von Dutzenden selbst ernannter Pioniere, die im Herbst zum ersten Mal eine Gemeinwohlbilanz veröffentlichten. Auf der Habenseite steht, was das Unternehmen für Mitarbeiter, Kunden und die Gesellschaft leistet.

Vorstandsvorsitzender Helmut Lind wird begleitet vom Ruf, ein effizienter Optimierer zu sein. Seit 2006 sitzt er im Chefsessel der größten bayerischen Genossenschaftsbank. Deutschen Medien gilt er als der Banker, der mit all dem brechen wird, was den Erfolg einer Bank bislang ausmachte. Lind ist dabei, sein Institut - das für das zurückliegende Geschäftsjahr eine Dividende von 5,5 Prozent (rund 3,3 Millionen Euro) an seine Mitglieder ausschüttet - grundlegend zu verändern. Warum erzählt er im Interview.

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derStandard.at: Sie haben heuer erstmals eine Gemeinwohlbilanz vorgelegt. Haben Sie mehr Beifall oder Skepsis geerntet?

Helmut Lind: Weniger Skepsis, das hat mich eigentlich gewundert. Wenn man Beifall wörtlich nimmt, müssten die Leute nachher geklatscht haben. So war es aber auch nicht. Ich würde es so sagen. Es gab eine hohe Aufmerksamkeit, aber auch mit der Frage verknüpft: Kann das funktionieren?

derStandard.at: Und was haben Sie geantwortet?

Lind: Wenn wir von einer Art strategischen Planung sprechen, was genau bis wann erreicht sein muss, dann müsste man sagen: Nein so funktioniert das nicht. Wenn man aber den Weg in den Mittelpunkt stellt, dann schon. Wir waren schon vor dem Jahr 2008 unterwegs. Damals haben uns viele ausgelacht. Wir haben es nicht Gemeinwohlökonomie genannt, weil der Begriff noch nicht geboren war, sondern Bank mit Nachhaltigkeitsprinzip. Auch im Haus haben mich da viele belächelt.

derStandard.at: Wo haben Sie denn damals angesetzt?

Lind: Um das Jahr 2002 bis 2003 haben wir angefangen, das Thema Nachhaltigkeit in die Bank zu tragen. Wir haben über 130 Teilzeitmodelle und haben diese Stück für Stück aufgebaut. Der Fokus lag also nicht auf Effizienz, denn da würden viele vorrechnen, dass das teuer ist. Es ging darum, Beruf und Familie zu kombinieren. Und es ging darum, dass diese in Teilzeit arbeitenden Mütter oder Väter mit einer höheren intrinsischen Motivation (Anm.: das Bestreben, etwas seiner selbst willen, weil es Spaß macht, Interessen befriedigt oder eine Herausforderung darstellt, zu tun) arbeiten werden, als die "Funktionierer".

derStandard.at: Das war damals eine These - kann man die schon verifizieren?

Lind: Sie wissen ja, dass Dinge, die man qualitativ messen will, immer viel schwieriger zu erfassen sind. Wie messe ich Menschenwürde? Aber wir haben 2006 angefangen, bei der Befragung nach dem besten Arbeitgeber mitzumachen. Das ist absolut anonym, da können wir uns nicht in die Tasche lügen. Die Leute werden gnadenlos sagen, was ihnen gefällt und was nicht. Das machen wir jetzt ohne Pause seit fünf Jahren. 96 Prozent der Mitarbeiter sagen, das ist ein guter Arbeitsplatz, ich bin froh, dass ich bei der Sparda-Bank bin. Es gibt also immer noch Leute, die sagen, ich wäre lieber woanders. Wir schauen uns jetzt jedes Jahr an, was wir verändern können.

derStandard.at: Was haben Sie sonst noch in die Wege geleitet?

Lind: Wir haben damals einen Marktplatz eingerichtet, der alle zwei Jahre stattfindet. Da kaufen Sie kein Obst und kein Gemüse, sondern Authentizität und Selbsterkenntnis am ersten Stand, den Weg zur eigenen Mitte am zweiten Stand, lebe Dein Naturtalent am dritten Stand, Achtsamkeit, Kreativität und Problemlösungstechniken. Ich habe festgestellt, in all diesen Bereichen können wir nur Angebote machen und nicht die Leute dazu verdonnern. Die Referentenkosten, Raumkosten, Bewirtungskosten für die Seminare hat die Bank übernommen, die Mitarbeiter mussten einzig ihre Freizeit einbringen. Wir investieren in die Persönlichkeit der Mitarbeiter. Wenn sie sich entwickeln, entwickelt sich die Bank.

derStandard.at: Wieso muss ein Unternehmen etwas für das Gemeinwohl leisten? Reicht es nicht, wenn Geld verdient wird und den Rest besorgen die, die es verdienen?

Lind: Ich glaube, da müssen wir neu denken. Auch das Thema Gemeinwohlökonomie hat ja nichts mit Schwarz-Weiß zu tun. Deswegen mag ich auch die Formulierung, das sind die Guten und das sind die Bösen, nicht. Darum geht es gar nicht.

derStandard.at: Worum geht es denn?

Lind: Es geht darum, dass wir bestimmte Dinge anders in den Fokus stellen. Es geht vielen als Erstes um Profit, Profit, Profit und wenn etwas übrig bleibt, dann kann man sich auch um die anderen Dinge kümmern. Wir sind davon überzeugt, dass sich mittel- bis langfristig die Investition in Mitarbeiter immer lohnen und rechnen wird. Aber nicht in Euro und Cent. Wir messen nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit, sondern seit 19 Jahren auch die Kundenzufriedenheit. Seit damals sind wir die Nummer Eins bei der Weiterempfehlungsquote in Deutschland. 85 Prozent aller neuen Kunden kommen durch Empfehlung zu uns. Hier schließt sich der Kreis. Ich glaube, Kundenzufriedenheit generiert man, wenn man Mitarbeiterzufriedenheit hat. Wir sagen ja nicht, wir sind die Caritas. Der Zweck des Unternehmens ist die Förderung der Mitglieder. Förderung der Mitglieder heißt Förderung unserer Kunden. Wie kann ich Mitglieder und Kunden fördern? Indem ich unsere Mitarbeiter fördere.

derStandard.at: Die Sparda-Bank ist eine Genossenschaftsbank. Dennoch gehören Sie als Vorstandschef einer Bank nicht gerade zu den üblichen Verdächtigen, die sich so sehr für das Gemeinwohl interessieren. Wie kam‘s dazu?

Lind: Bei den Banken wird alles in einen Topf geworfen. Man hat dann auch - so wie 2008/2009 - Schwierigkeiten, sich rauszuducken. Damals haben wir gesagt, passt auf, wir haben aber diese und jene Geschäfte nicht gemacht.

derStandard.at: Die Banken sind seit damals die Bösen schlechthin...

Lind: Ganz genau. Generalisierend: die bösen Banken. In der Presse lesen Sie oft "die Bankenwelt". Da bin ich mit der Sparda-Bank auch erst einmal in diesem Topf drin. Deswegen habe ich gesagt, wir müssen erst innen unsere Hausaufgaben machen, bevor wir uns trauen, in die Öffentlichkeit zu gehen. Ich fange jetzt nicht an und schreibe da Super-Glanzprospekte und habe dann nichts vorzuweisen. Deswegen haben wir angefangen mit Stärkenentwicklung der Mitarbeiter und mit Beruf und Familie.

derStandard.at: Diese Erkenntnis wurde Ihnen aber sicher nicht in die Wiege gelegt oder?

Lind: Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden. Mein Großvater hat immer gesagt: "Weißt Du, Helmut, primitive Bauern zerstören den Boden, von dem sie langfristig leben zugunsten kurzfristiger Erträge." In dieser Aussage steckt viel Weisheit.

derStandard.at: Sie sind Chef der größten bayerischen Genossenschaftsbank, Ihre Bank ist kräftig gewachsen und verwaltet heute rund 320 000 Sparkonten. Sie müssen auch zahlenmäßig Erfolg haben: Geht sich das trotz des Schauens auf das Gemeinwohl aus?

Lind: Diese Rechnung geht auf. In den letzten Jahren war das immer der Fall. Es wird auch einmal ein Jahr dabei sein, wo das nicht so ist. Ein Vorstandskollege - übrigens ein richtiger Zahlenfreak - sagt immer: "Schau mal, das ist doch toll. Wir sind erfolgreich mit Kundenzufriedenheit, mit Mitarbeiterzufriedenheit, mit einer gewissen Verantwortung für Umwelt, Ökologie und Gesellschaft und trotzdem stimmen die Zahlen."

derStandard.at: Kritikern ist die Angelegenheit ein reines Marketing-Instrument. Tangiert Sie das?

Lind: Das kommt seit Jahren. Deswegen habe ich mich vor Jahren auch schon gegen die klassischen Nachhaltigkeitsbilanzen entschieden. Das kann ich irgendwo rein schreiben, aber es gibt keine Auditierung, keine Rückmeldung, kein Draufschauen, keinen Anspruch, dass irgendeiner sagt, das ist jetzt richtig oder falsch. Das wollen wir nicht. Wir haben keine Hochglanzprospekte gemacht, sondern alles auf Fairtrade umgestellt, in den Toiletten gibt es nicht mehr an jedem Wasserhahn Warm- und Kaltwasser, am Abend werden alle Computer automatisch zum Zeitpunkt X abgestellt, etc. Und da gibt es noch viel zu tun.

derStandard.at: Sie hätten ja die Gemeinwohlökonomie so gesehen gar nicht gebraucht?

Lind: In diesem Prozess hat mir gefallen, dass es eine offene Geschichte ist. Es wird nichts übergestülpt. Zweitens ist es etwas, wo nicht nur die Großen dran teilnehmen können. Die Sache geht soweit, dass es in der Visionsformulierung bis zu einem Wirtschaftskonvent geht. Wir verfolgen wirklich ein Ziel.

derStandard.at: Ein zentrales Kriterium ist die "gesellschaftliche Wirkung" von Produkten und Dienstleistungen. Was kann man da in einer Bank anbieten oder was muss man streichen?

Lind: Würde ich als Sparda-Bank - entstanden aus Privatkunden - nur noch Produkte anbieten, die morgen sofort gemeinwohlorientiert sind, sprich Solar oder Erneuerbare Energie oder dergleichen, würde ich den Bedarf der Masse der Kunden gar nicht mehr befriedigen. Da beißt sich die Katze schon in den Schwanz. Für uns ist das Thema Regionalität wichtig. Wir stecken das Geld der Kunden nicht in irgendwelche Transferfirmen, in irgendwelche dubiosen Töchter oder derivativen Instrumente, in Spekulationen und Wetten. Wir legen es dort hin, wo es herkommt, in die Region in Form von Darlehen für Eigentumswohnungen, für ein Haus, für ein Solardach etc.

derStandard.at: Müssen und mussten Sie viel Überzeugungsarbeit leisten?

Lind: Am Anfang wurden ich und mein Vorgänger, der dafür die Wurzeln gelegt hat, oft belächelt. Nach dem Jahr 2008 hat sich das verändert. Viele sehen das mittlerweile sogar als eine intelligente strategische Entscheidung.

derStandard.at: Eine deutsche Zeitschrift hat Sie "der Utopist" genannt. Sehen Sie sich als solcher?

Lind: Harte Zahlen interessieren ihn nicht, hat es dort geheißen. Wenn Utopist gemeint ist, mit Vordenker, dann sage ich ja. Als Spinner und der, der Realität nicht mehr sieht, sehe ich mich aber nicht. (Regina Bruckner, derStandard.at, 17.10.2011)